Der Name Blue Byte wird heute insbesondere mit der kommerziell überaus erfolgreichen Aufbau-Strategiespiel-Serie 'Die Siedler' assoziiert. Das war in den 1990er Jahren noch anders. Vor der Übernahme durch Ubisoft in 2001, waren die damaligen Mühlheimer als selbständiger Entwickler und Publisher groß im Geschäft. In dieser Ära wurden diverse Computerspiele aus den unterschiedlichsten Genres veröffentlicht. Mit wechselseitigem Erfolg. Das breit gefächerte Portfolio bestand unter anderem aus Rundentaktikspielen wie 'Battle Isle' und 'Incubation', Actionspielen wie 'Extreme Assault' und 'Schleichfahrt', dem unterschätzten Rollenspiel 'Albion' sowie dem Gesellschaftsspiel 'die total verrückte Rally'. Zu den weniger bekannten Spielen zählt auch ein Comic-Adventure aus deutschen Landen: 'Chewy: Esc von F5', kurz 'Chewy'. Der Titel wurde von New Generation Software entwickelt und im November 1995 auf dem deutschen Markt veröffentlicht. Da die Konkurrenz aus dem anglo-amerikanischen Raum zu jener Zeit nahezu erdrückend war, konnte sich 'Chewy' trotz seiner guten Qualität und positiven Kritiken nicht erfolgreich im Markt behaupten. Dennoch nimmt der Titel retrospektiv betrachtet, eine gewisse Sonderstellung ein. Zum einen handelt es sich um das einzige, jemals von Blue Byte vertriebene Adventurespiel. Zum anderen zählt es zu den ganz wenigen deutschen Lichtblicken jener Zeit, die sich insbesondere qualitativ hervorzuheben vermochten. Einer Zeit, in der Deutschland noch ein Adventure-Entwicklungsland war und primär unter ferner liefen agierte. Warum 'Chewy: Esc von F5' auch heute noch spielenswert ist und neben der 'Höhlenwelt Saga' zum besten deutschen Grafik-Adventure jener Zeit gehört, wird dieser Klassikertest für euch beantworten.

Die Infiltration von F5
Im Spiel schlüpft ihr in die Rolle des 1,20 Meter großen, pinkfarbenen Außerirdischen Chewy. Zusammen mit seinem Kumpel Clint soll er F5, den Todesstern der grünheutigen Borx infiltrieren und deren Geheimwaffe, den roten Glump, entwenden. Die Aktion verläuft zunächst nach Plan. Auf der Flucht wird Clint jedoch mit seinem Gleiter von einem Wurmloch erfasst und strandet mit dem roten Glump auf einem fernen Planeten, genannt Erde. Chewy hat weniger Glück und wird von den bösartigen Borx gefangengenommen und in eine Gefängniszelle auf F5 verschleppt. Dort müsst ihr zunächst aus der Zelle entkommen, euren Gleiter wieder flugtüchtig machen und euch anschließend auf die lange und abenteuerliche Suche nach Clint und den roten Glump begeben.
Rätseltechnisch gibt es viel zu tun
Die Rätsel im Spiel bewegen sich auf einem leichten bis mittleren Niveau und sollten für geübte Adventurespieler keine großen Probleme darstellen. Wie von anderen Adventures gewohnt, gilt es, sich mit allen Personen zu unterhalten, sämtliche Gegenstände aufzunehmen und diese ggf. mit der Umgebung oder im Inventar zu kombinieren. Aufmerksame Spieler werden hierbei im Spiel immer wieder auf entsprechende Hinweise stoßen, die zur Lösung der nicht immer ganz offensichtlich konstruierten Rätsel, beitragen. Beispielsweise finden wir in der Zelle von F5 ein Tagebuch und ein Monokel. Benutzen wir beides im Inventar, erfahren wir, wie eine Flucht aus der Zelle möglich ist. Konkret, indem wir den herumliegenden Spinat der Sonde ins Auge werfen und den im Anschluss erscheinenden Zwangsernährungsschlauch mit einem Kopfkissen außer Gefecht setzen. Im weiteren Handlungsverlauf verschlägt es Chewy auf die Erde. Er strandet zunächst in Small Town, USA, im Keller des chronisch erfolglosen Schriftstellers Howard. Dieser Abkömmling der menschlichen Spezies ist so abgrundtief langweilig, dass er sich regelmäßig ins Delirium schreibt. Dank seines „Multitranslators“, ist es für Chewy jedoch möglich, sämtliche Sprachen zu erlernen. Über Howards Fernseher bringen wir uns die menschliche Sprache bei und erfahren zudem ein Rezept, das dem Schriftsteller in der Folge wieder Beine macht. Nebenbei wird im Nachrichtenprogramm erwähnt, dass im Amazonasgebiet vor 500 Jahren ein Raumschiff abgestürzt wäre. Durch diesen Hinweis landet das Duo neben einem Abstecher in der Großstadt Big City letztendlich am Amazonas. Dort wird die illustre Gruppe mit der Sängerin Michelle komplettiert, ehe es dann in der Geisterstadt Ghost Town zum finalen Showdown kommt.
Humorgespickte Anspielungen ohne Ende
Eine der Hauptstärken des Spiels ist sicherlich der illustrierte Humor und Wortwitz. Dieser schlägt sich in unzähligen Anspielungen auf die westliche Populärkultur nieder. Insbesondere berühmte Persönlichkeiten und Kinofilme werden immer wieder situationsgerecht auf die Schippe genommen oder zitiert. Allen voran natürlich die Sci-Fi-Perlen 'Star Wars', 'Darkstar' und 'Star Trek'. Beispielsweise finden wir in der Folterkammer von F5 einen gefangenen Nimoyaner, der nicht nur verdächtig spitze Ohren hat, sondern auch analytisch kühl unsere Fragen kommentiert. Unsere angebotene Hilfe wird von ihm dabei konsequent ausgeschlagen, indem er entgegnet, dass sein Captain bereits auf dem Weg wäre, ihn aus dieser misslichen Lage zu befreien. Hierbei handelt es sich selbstverständlich um eine Referenz an den Schauspieler Leonard Nimoy und der von ihm verkörperten Filmfigur des Mr. Spock. Auf dem Schrottplatz von F5 entdecken wir außerdem einen ausrangierten Blaster, den Chewy dahingehend kommentiert, dass ein gewisser D. H. darauf die Worte „make my day“ eingeritzt hätte. Der versierte Filmkenner weiß, dass hiermit nur die Filmfigur Dirty Harry gemeint sein kann. Eine angefertigte Gipsmaske vom Gesicht des Nimoyaners und ein auf der Erde gefundenes Brotmesser führen wiederum zu dem Kommentar, dass ein gewisser Jason hierfür sicherlich Verwendung finden könnte. Diese Anspielung zielt auf die Horrorfilm-Legende Jason Vorhees ab, bekannt aus den 'Freitag der 13. Filmen'. Anspielungen, wie die drei geschilderten, finden sich im gesamten Spiel und tragen sehr viel zur humorvollen Spielatmosphäre bei. Es wird jedoch die volle Aufmerksamkeit des Spielers und das nötige Hintergrundwissen benötigt, um sämtliche Anspielungen als solche auch zu erkennen und richtig zu interpretieren. Hierbei dürften vor allem die jüngeren Semester noch ihre Schwierigkeiten haben, da das Adventure ursprünglich eine Alterseinstufung ab sechs Jahren erhalten hatte.
Leider hat 'Chewy' auch einige Designschwächen vorzuweisen. Beispielsweise füllt sich das Inventar bis zum Ende des Spiels mit diversen Gegenständen, die jedoch zum erfolgreichen Abschluss des Abenteuers nicht mehr gebraucht werden. Hier wäre es sinnvoll gewesen, das Inventar um nicht mehr benötigte Gegenstände an bestimmten Stellen im Spiel automatisch zu erleichtern. Denn so ist der Spieler gezwungen, unzählige Gegenstände mit sich herumzuschleppen, wodurch das Inventar künstlich aufgebläht und dadurch unübersichtlicher wirkt. Zudem bleiben die zwei Begleiter, Howard und Michelle im Verlauf der Handlung leider ziemlich farblos. Sie werden nur geringfügig in die Rätselketten einbezogen, fungieren primär als Stichwortgeber für einige Gags und sind lediglich schnödes Beiwerk. Da waren die Adventures Maniac Mansion oder Day of the Tentacle einfach um Lichtjahre weiter. Den Hauptpart hat der Protagonist Chewy zu leisten, der jedoch dank seines Wortwitzes und Humors über viele Unzulänglichkeiten hinwegretten kann. Zudem weist die Handlung an einigen Stellen Logiklöcher auf. Wenn im Dschungel des Amazonas ein Filmteam einen Stummfilm in schwarz-weiß dreht und dabei den Farb- und Tonfilm verschläft, ist das schon ziemlich unlogisch. Liegen zwischen dieser Entwicklung letztendlich einige Jahrzehnte. Auch die Auflösung, was sich hinter dem roten Glump tatsächlich verbirgt, erweist sich letztendlich als ziemlich einfallslos. Hier haben die Entwickler vermutlich auf eine Fortsetzung spekuliert, um dann auf die Mysterien des roten Glump‘s näher eingehen zu können. Hierzu ist es leider nicht mehr gekommen, da sich der Titel nicht besonders gut verkauft hat. Trotz alledem kann Entwarnung gegeben werden, da die Handlung in sich geschlossen ist und so den Spieler nicht mit einem unbefriedigenden Cliffhanger zurück lässt.
Grafik und Sound
Grafisch macht 'Chewy: Esc von F5' einen guten Eindruck. Zwar handelt es sich lediglich um VGA-Grafiken, diese wurden jedoch mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Hierbei orientiert sich der Grafikstil sehr stark an 'Day of the Tentacle' von Lucas Arts. Das ganze Abenteuer sieht zudem nicht nur wie ein interaktiver 'Bugs Bunny Cartoon' aus, sondern spielt sich auch so. Neben lustigen, verspielten Animationen und abgefahrenen Charakteren sind auch diverse Zwischensequenzen zu bewundern, die bestimmte Schlüsselereignisse in der Handlung vorantreiben. Der Großteil der Grafiken und Charaktere stammt übrigens aus der Feder von Carsten Wieland. Dieser hatte zuvor für Starbyte auch an dem verkorksten Adventure 'Bazooka Sue' und der fehlerbehafteten Gangstersimulation 'Dime City' als Grafiker mitgewirkt. Einem breiteren Publikum dürfte er vor allem als Erfinder des feuchten Männertraums Lula bekannt sein. Seine Kunstfigur ist vor allem ab 1997 durch die kultige und fordernde Wirtschaftssimulation 'Wet: The sexy Empire' aus dem Hause CDV zu größerem Ruhm gelangt. Deshalb ist es nicht mehr ganz so verwunderlich, wieso insbesondere die weiblichen Charaktere im Spiel mit tiefen Ausschnitten und mitunter üppigen Oberweiten versehen sind. Bekanntermaßen die Markenzeichen von Carsten Wieland, der später vor allem Spiele für Erwachsene designte. Unabhängig davon, wurden die Charaktere und Hintergründe sehr detailliert und stimmig inszeniert. Der Comicstil ist sehr gut getroffen und vermag den zugrundeliegenden Humor facettenreich zu illustrieren.
Auch die Vertonung kann überzeugen. Die Sprecher, allen voran Renier Baaken in der Rolle des Chewy, sind passend besetzt und wurden vom Studio Hamburg professionell in Szene gesetzt. Der Humor und Wortwitz wird sehr gut übertragen und ist maßgeblich an der humorvollen Atmosphäre des Spiels beteiligt. Als prominentester Sprecher wurde übrigens Alexander Schottky, bekannt als Synchronstimme von George Stobbart aus der 'Baphomets Fluch Reihe', verpflichtet. Im Spiel leiht er der Nebenfigur Clint seine unverwechselbare Stimme. Auch die Musikeffekte vermögen zu überzeugen. Hierbei hat jeder Schauplatz seine individuelle Hintergrundmusik erhalten. Etwas negativ fällt gelegentlich auf, dass die Figuren nicht immer Lippensynchron vertont worden sind. Es kann vorkommen, dass diese zwar noch ihre Lippen bewegen, der Text aber bereits zu Ende gesprochen wurde. Zudem gibt es vereinzelte Stellen im Spiel, in denen die Charaktere zwar ihre Lippen bewegen, diese Szene aber offensichtlich nicht vertont wurde. Dies kommt jedoch nur ganz selten vor und trübt den ansonsten positiven Gesamteindruck hinsichtlich der Vertonung lediglich geringfügig. Summa summarum machen die verpflichteten Sprecher ihre Aufgabe sehr gut und auch die Sound- und Musikeffekte können vollauf überzeugen.
Die Bedienung
Chewy wird durchgängig mit der Maus gesteuert. Mit Rechtsklick öffnet sich am oberen Bildschirmrand eine kleine Symbolleiste. Dort kann zwischen den Befehlen gehen (Fuß), nehmen (Hand), sehen (Auge) und sprechen (Mund) ausgewählt werden. Hinzu kommt ein Diskettensymbol, das zum Options- und Speichermenü führt. Letzteres stellt 19 Speicherpunkte zur Verfügung. Im Optionsmenü kann die Laufgeschwindigkeit sowie die Lautstärke der Sprachausgabe und Musikeffekte eingestellt werden. Leider ist es nicht möglich, die Untertitel und die Sprachausgabe gleichzeitig einzuschalten. Hier muss sich der Spieler jeweils für eine Variante entscheiden. Entweder, ihr spielt ohne Sprachausgabe mit aktiven Untertiteln, oder andersherum. Komplettiert wird die Symbolleiste durch ein Koffersymbol, mit dem das Inventar aufgerufen werden kann. Im Spiel gibt es jedoch einige Passagen, in denen der Protagonist auf die Mithilfe seiner Begleiter angewiesen ist. Im Handbuch ist leider nicht vermerkt, dass hierbei mit dem Handsymbol zunächst der jeweilige Begleiter angeklickt werden muss. In diesem Fall verändert sich der Cursor, indem er ein kleines Charakterporträt des ausgewählten Begleiters annimmt. Anschließend kann mit Linksklick auf den entsprechenden Hotspot die gemeinsame Aktion ausgelöst werden. Abgesehen von dieser kleinen Unschärfe, geht die Bedienung jedoch durchgängig leicht und intuitiv von der Hand.
Erhältlichkeit und Kompatibilität
'Chewy: Esc von F5' kann sowohl über Ebay als auch Amazon Marketplace schnell und einfach bezogen werden. Neben der Erstauflage existiert eine Budgetauflage, vertrieben unter dem Label Blue Byte Classics. Beide Fassungen werden im Pappkarton mit Handbuch und Referenzkarte angeboten. Zusätzlich war das Adventurespiel in der Fachzeitschrift PC Games als Vollversion enthalten. Eine DRM freie Version, wie sie gog.com anbietet, existiert bisher nicht. 1997 wurde 'Chewy' zudem für den englischsprachigen Raum lokalisiert und über die Blue Byte Niederlassungen in Schaumburg, USA und Northampton, UK, auch in diesen Ländern veröffentlicht. Diese Fassung ist jedoch aufgrund der eher mäßigen Übersetzung, unter anderem ging viel vom ursprünglichen Wortwitz und Humor verloren, ausdrücklich zu meiden. Aus diesem Grund sollte die deutsche Ursprungsfassung unbedingt bevorzugt werden!
'Chewy' ist auf Systeme mit Microsoft-DOS ausgelegt, kann aber auch unter Windows 95 gespielt werden. Bei neueren Systemen gibt es jedoch gravierende Probleme, die sich von wiederkehrenden Abstürzen, Soundproblemen bis hin zur Verweigerung des Spielstartes erstrecken können. Aus diesem Grund sollte unter aktuellen Rechnerkonfigurationen auf den Emulator DosBox zurückgegriffen werden. Damit lässt sich das Spiel ohne Probleme starten und durchspielen. Eine Kompatibilität mit ScummVM ist dem Autor bisher nicht bekannt. Diese ist für die weitere Zukunft aber nicht ganz auszuschließen, da der Emulator kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Mit 'Chewy: Esc von F5' hat Blue Byte als Strategiespezialist großen Mut zum Risiko bewiesen und sich in ein Genre gewagt, in welchem man bisher nicht vertreten war. Finanziell sollte dieser Mut leider nicht belohnt werden. Das Spiel konnte die gesetzten Erwartungen nicht erfüllen und markiert deswegen das einzige, jemals veröffentlichte Adventure der Mühlheimer. Spielerisch konnte man jedoch aufzeigen, dass deutsche Adventures sowohl handwerklich solide, als auch humorvoll designt sein können. Der Protagonist ist sympathisch und hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Zusammen mit dem unverbrauchten Szenario und den auf mittlerem Niveau befindlichen Rätselketten, ist 'Chewy' zudem hervorragend für Adventure-Neulinge geeignet. Unabhängig davon, dürfen selbstverständlich auch Veteranen zugreifen, die entweder von diesem Geheimtip bisher noch nichts gehört haben, oder nach weiterem Futter für ihre Sammlung suchen.
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Chewy: Esc von F5
- Entwickler
- New Generation Software
- Publisher
- Blue Byte
- Release
- 1995
- Webseite
- http://www.bluebyte.net/ger/products/chewy/index.htm
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Chewy bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)