Wir befinden uns im Jahre 1991, die Adventure-Gemeinde spielte 'Monkey Island 2' oder 'Larry 5', die Zeit textbasierter Adventures schien schon länger vorbei zu sein. Vom deutschen Publisher Software 2000, der sich u.a. mit dem 'Bundesliga Manager' einen Namen gemacht hatte, erschien in dem Jahr aber trotzdem ein neues Textadventure. 'Die Kathedrale' vom Entwicklerstudio Weltenschmiede setzte zwar nicht nur auf Text - Eingaben via Maus waren auch schon möglich -, ganz ohne Tastatur kam man jedoch nicht durchs Spiel. Doch auch die Handlung machte das Spiel besonders: Wir rätseln uns in drei Abschnitten durch eine 500 Jahre umfassende Geschichte um Verschwörungen und große Gefahren. Für einen Klassikertest haben wir das "Artventure", wie es seinerzeit genannt wurde, noch einmal hervorgeholt.
Es ist das Jahr 1992, als die rheinländische Stadt Schönau ihre 850-Jahr-Feier begeht. Zu diesem Anlass befindet sich auch der Spieler in der fiktiven Stadt. Das Highlight von Schönau ist gar nicht mal die Stadt selbst, sondern ihre Sankt-Pauls-Kathedrale, die mit einer Höhe von knapp 100 Metern jedes andere Gebäude bei weitem überstrahlt. Extra zum Jubiläum hat Schönau sogar eine eigene Broschüre nur über ihre Kathedrale herausgegeben und es finden regelmäßige Führungen durch das Kirchengebäude statt. An einer dieser Führungen nehmen auch wir teil. Zusammen mit einer Gruppe interessierter Touristen stehen wir gerade im Gewölbekeller des alten Baus, als uns eine junge Dame auf die Schulter tippt und sich als ehemalige Mitschülerin Dani vorstellt. Unsere Überraschung wird noch größer, als Dani uns zu einem kleinen Abstecher in einen Nebenraum überredet - dort hat sie ein Bündel alter Briefe gesehen, kommt aber selbst nicht an den Ablageort heran. Neugierig und etwas aufgeregt folgen wir Dani und tatsächlich: Da liegen Briefe aus einer längst vergessenen Zeit. Genauer gesagt aus dem Jahre 1437, vor der Eröffnung der Kathedrale. Gespannt lesen wir die Briefe und werden stutzig. Der Erbauer, ein gewisser Victor Paz, soll 15 tödliche Mechanismen in die Kathedrale eingebaut haben. Da das Gebäude aber noch immer steht, kann es ja so schlimm nicht gewesen sein, denken wir uns. Als wir zur Gruppe zurückkehren wollen stellen wir fest, dass wir den Anschluss verpasst haben. Schlimmer noch: Die Führung ist beendet und wir sind zusammen mit Dani in der Kathedrale eingeschlossen.
In Zwischenblenden erfahren wir vom Schicksal des Theologen Jan Hus.In einer Zeit vor Handys bleibt uns nun nicht viel mehr übrig als abzuwarten - und die gefundenen Briefe gründlicher zu lesen. Und so erfahren wir von der tatsächlichen Bedrohung und den Hintergründen. Victor Paz, Architekt der Kathedrale, war ein Halbbruder vom Theologen Jan Hus, der tatsächlich um 1370 gelebt hat. Hus galt auch als Reformator und wollte sich der Inquisition nicht beugen, was für ihn ein Ende auf dem Scheiterhaufen bedeutete. Paz will sich deswegen an der katholischen Kirche im Allgemeinen und am damaligen Bischof Sebastian von Altenburg im Besonderen rächen. Zu diesem Grund baut er tödliche Gefahren in die Kathedrale ein. Das Perfide daran: Die Fallen sollen im Abstand einiger Jahrhunderte zuschnappen, damit die vorhergegangenen Unglücke möglichst in Vergessenheit geraten sind. Während die ersten fünf Schrecknisse (wie sie in den Briefen genannt wurden) bereits zur Eröffnung 1437 losschlugen, sollen die letzten fünf Gefahren im Jahr 1992 ausgelöst werden. Und zwar genau in den Tagen, in denen Dani und der Spieler in der Kathedrale festsitzen. Natürlich wollen wir diese Zeit überleben und so machen wir uns auf, die Fallen zu finden und zu entschärfen.
Die Kirche, Cthulhu und Logik
Cthulhu, Yog-Sothoth und Co. sind auch dabei.Victor Paz war im Erdenken seiner Fallen sehr erfinderisch. Uns begegnen ganz reale Bedrohungen wie Pesterreger in einem zerbrechlichen Glas, eine Rattenplage oder Glocken, deren Schall Menschen sterben lassen, bis hin zu mystischen Gestalten aus Universen wie dem von H.P. Lovecraft. Darunter beispielsweise eine wandelnde Mumie, Dämonen oder riesige spinnenartige Unwesen. Selbst einen fernen Planeten müssen wir besuchen. Wo bei all diesen Dingen die Logik in der Geschichte bleibt? Das haben wir uns so manches Mal auch gefragt. Schon zum Anfang, bei dem wir zusammen mit Dani eingesperrt werden und gar nicht erst daran denken, einen Ausweg aus der Kathedrale zu suchen, führt das Spiel weg von der eigentlich logischen Reaktion. Zeitsprünge, durch die wir zunächst im Jahr 1881 und schließlich sogar am Eröffnungstag der Kathedrale im Jahr 1437 landen, machen es nicht besser. Da verwundert es auch nicht mehr, dass sich im Kreuzgewölbe im Kathedralendach ein recht großes Labyrinth verbirgt, unter dem Kirchengebäude eine riesige Höhlenlandschaft mit eigener Vegetation zu finden ist oder es uns möglich ist, durch einen Gang in die Mitte eines Mosaik-Fenster zu gelangen - der Gang müsste demnach durch eine der Streben des Fensters führen. Dazu gesellen sich noch einige weitere Löcher in der Geschichte. Wie oben schon erwähnt, reisen wir einige huntert Jahre rückwärts durch die Geschichte. Wenn wir beispielsweise 1992 einen Glockenklöppel abstürzen lassen, dann ist der Klöppel auch im Jahre 1437 abgestürzt. Morsche Treppenstufen, durch die wir 1992 getreten sind, sind auch in den Jahrhunderten zuvor defekt. Noch dazu werden die Zeitsprünge nicht wirklich erklärt und wirken dadurch eher verwirrend.
Es ist leicht, in der Kathedrale das Leben zu verlieren.Diese Liste ließe sich noch weiter ausführen. Umso überraschender dürfte es für den erfahrenen Abenteurer nun sein, dass die Geschichte der Kathedrale trotz all dieser Probleme fesselt und mit ihrer Stimmung überzeugen kann. Es macht einfach eine Menge Spaß, durch das alte Gemäuer zu laufen und Geheimgänge zu erforschen. Leider - und das ist wirklich ein großer Wermutstropfen - lauern an einigen Stellen unnötige Sackgassen, gemeine Tode oder andere Tücken: Natürlich gibt es in den Geheimgängen der Kathedrale kein künstliches Licht - dafür finden wir aber eine Kerze und eine Ölfunzel. Beide Lichtquellen halten aber nur eine gewisse Anzahl von Schritten, was den Einsatz limitiert. Zusätzlich sorgt ein Bug an manchen Stellen dafür, dass z.B. die Kerze niedergebrannt ist, obwohl kurz zuvor noch genügend Züge Zeit gewesen wäre. Anders als man es in einer Kirche erwarten würde, gibt es auch nur diese eine Kerze und diese eine Funzel. Ist eines von beiden zu früh aufgebraucht, kann das Spiel nicht mehr beendet werden. Da man sich besonders zu Beginn häufig verläuft oder einfach Dinge ausprobieren muss, kommt man um häufiges Speichern und effizientes Nachspielen von einmal gefundenen Lösungen nicht herum.
Rätselfrust und Rätsellust
Eine interessante Rätselkette erwartet uns beispielsweise in der Bibliothek.'Die Kathedrale' bietet einige wirklich tolle Rätselketten. Grundsätzlich drehen sich die Aufgaben immer um genau eine Gefahr. In welcher Reihenfolge man diese fünf Fallen je Zeitalter angeht, bleibt dem Spieler überlassen. Es können sogar Aufgaben vorweg genommen werden, wenn man zufällig auf den richtigen Weg kommt. Welche Aufgaben eigentlich erledigt werden müssen, verrät uns ein Pergament, das wir jeweils zu Beginn der Zeitabschnitte finden und in dem der Assistent von Paz uns erste Hinweise notiert hat. Und so finden wir beispielsweise einen Geheimgang in einer der großen Stützsäulen, an den sich ein mit unterschiedlichsten Fallen gespickter Gang anschließt. Jede dieser Fallen kann mithilfe von Gegenständen entschärft werden, die wir bereits bei der Suche nach dem Gang finden können. In einem anderen Rätsel erkunden wir eine verborgene Bibliothek und schmökern uns durch verschiedene Bücher, die jeweils einen Hinweis auf das nächste Buch enthalten.
Man muss schon ganz genau hinsehen, um weiter zu kommen.Solchen wirklich gut gestalteten Rätselketten stehen aber auch einige gegenüber, die man nur durch Ausprobieren oder sehr genaue Beobachtung der Umgebung lösen kann. Grundsätzlich verrät das Spiel nämlich nicht alle wichtigen Details, wenn man sich einen Raum oder einen Gegenstand anschaut. Man muss sich immer weiter ins Detail vorarbeiten, ehe man endlich den entscheidenden Hinweis bekommt. Das Spiel sagt z.B., dass man eine Treppe heruntergegangen ist und beschreibt dann den umgebenden Raum ausführlich. In diesem Fall ist die Treppe aber interessant. Bei einer Untersuchung erfahren wir, dass diese aus Holz ist. Nun muss auch das Holz explizit untersucht werden, um ein weiteres Detail zu erfahren, das wiederum untersucht werden muss. Solche "Untersuche-Ketten" finden wir immer wieder. An anderen Stellen ging es wirklich nur mit einer Lösung weiter, da es unmöglich erschien, dieses letzte Detail auch wirklich über den Text im Spiel zu finden. Als Ingame-Hilfe stehen uns neben Dani in den anderen Zeitaltern ebenfalls Begleiter zur Seite, die wir über das aktuelle Problem befragen können oder die auch einmal Aufgaben für uns erledigen können. An einigen Stellen geht es nur mit Teamarbeit weiter.
Steuerung mit Maus und Tastatur
Die Sätze dürfen wir auch per Maus zusammenklicken.Im Gegensatz zu vielen früheren Textadventures kann 'Die Kathedrale' auch bis zu einem gewissen Punkt per Maus gesteuert werden. Dazu haben die Entwickler ein "Befehlsfeld" erschaffen, in dem die wichtigsten Befehle mit Symbolen hinterlegt sind. Daneben zeigt ein Grafikfenster unsere aktuelle Sicht auf den Raum. Auch hier können wir Objekte anklicken. Zu guter Letzt kann auch jedes Wort im Text angeklickt werden. Am Ende ensteht dann ein Satz wie "Untersuche Holz-Treppe", der uns hoffentlich weiterbringt. Oft genug müssen die Befehle aber ergänzt werden, beispielsweise, wenn man ein Pergament lesen möchte. Dann erwartet das Spiel auch die Absatz- oder Seitennummer. Spätestens hier muss man also zu den Tasten greifen. Da sich 'Die Kathedrale' aber auch per Tastatur sehr gut steuern lässt, kann man auf die Maus direkt verzichten. In jedem Fall muss man aber auf die Wortwahl achten: Selbst wenn man nur einen Schlüssel im Inventar hat, möchte es das Spiel ganz genau wissen. "Nutze Schlüssel" reicht dann nicht. Nur ein "Öffne Türschloss mit Metallschlüssel" führt uns weiter.
Traurige Präsentation
Die Grafik kann leider nur selten überzeugen.Die Räume und einige Objekte werden in 'Die Kathedrale' in einem Grafikfeld oberhalb des Textbereiches dargestellt. Besonders hübsch sind diese Grafiken aber nur selten, selbst 1991 war schon deutlich mehr machbar. Dazu schwanken die Raumbilder stark in der Qualität. Während einige scheinbar gescant und nachbearbeitet wurden, wirken andere eher wie in Paint gestaltet. Dafür liefern die Texte aber in der Regel eine sehr ausführliche Information über die Umgebung ab, zwingend notwendig sind die Grafiken also auch nicht. Mit Ausnahme einer kurzen Titelmelodie gibt es übrigens auch keinerlei Ton im Spiel, es eignet sich also hervorragend zum Spielen in der Stille. Erschwerend kommen einige Bugs hinzu, die sich gegen Spielende mehren. Es wirkt ein wenig, als ob zum Ende der Entwicklung die Zeit ausging.
Hervorragende Ausstattung
Toll ausgestattet: Die Beilagen zum Spiel.Für die schwache Präsentation entschädigt die Packung des Spiels. Darin finden sich einige Briefe des persönlichen Assistenten von Victor Paz - es handelt sich um die Briefe, die wir zu Beginn des Spiels finden -, Karten des Kirchenbaus und die eingangs schon erwähnte Broschüre zur Kathedrale. Alle diese Unterlagen enthalten Tipps und Hinweise zur Lösung des Spiels, sie helfen aber auch sehr beim Eintauchen in die Spielwelt. Man glaubt tatsächlich, dass die St-Pauls-Kathedrale zu Schönau existiert (wenn auch ohne die Schrecknisse). Dazu kommt noch ein Poster und ein Lösungsbuch, so dass die Disketten kaum mehr Platz in der Schachtel finden.
Flapsiger Umgang
Apropros Schachtel: Darin findet sich natürlich auch das Handbuch zum Spiel, das im Umgangston eher ungewöhnlich gehalten ist und zum Teil sehr flapsig daher kommt. Ähnlich geht es uns auch immer mal wieder im Spiel, wenn der Text von der normalen Spielbeschreibung umschwenkt und dabei auch gleich die vierte Wand durchbricht. Formulierungen wie "Mannomann - gesegnet sei Ihre gnadenlose Neugierde! Was kann das schon Besonderes sein - wahrscheinlich Eichenholz..." sind keine Seltenheit und weisen uns in der Regel darauf hin, dass wir der Lösung (oder dem nächsten Tod) sehr nahe kommen.
Verfügbarkeit und Kompatibilität
Das Spiel findet man immer wieder einmal bei ebay, es ist sowohl als Box als auch auf einer Heft-CD erschienen. Empfehlenswert ist die Boxvariante, da im Heft die Chronik zum Kathedralenbau fehlt, wodurch Hinweise und Atmosphäre verloren gehen. Es gibt auch die Möglichkeit, das Spiel im Browser zu spielen. Dann jedoch fehlen alle Zusatzmaterialien und man kann nicht speichern. Von dieser Variante ist also dringlich abzuraten. Mit der aktuellen Version des Emulators 'DosBox' läuft 'Die Kathedrale' problemlos auch auf aktuellen PCs.
'Die Kathedrale' konnte mich wirklich an den Rechner fesseln und das trotz der vielen Probleme mit der Logik im Spiel. Es hat Spaß gemacht, das alte Gemäuer zu erkunden, die tödlichen Fallen zu entschärfen und dabei so manches Geheimnis aufzudecken. Einige der Rätselketten sind schön ausgearbeitet und bereiten beim Spielen wahre Freude. Sie sind es auch, die über die nicht so gut gelungenen Abschnitte hinwegsehen lassen. Statt der 15 Gefahren hätte man sich vielleicht eher auf zehn konzentrieren können und dem Spiel etwas mehr Zeit für die Qualitätssicherung geben können. Auch die Zeitreisen wirken im Nachhinein unnötig. Dann hätten wir hier wirklich ein richtig gutes Textadventure gehabt. Aber auch so ist 'Die Kathedrale' zu empfehlen, wenn man sich nicht vor zu viel Text scheut. Übrigens hat der Autor Harald Evers die Geschichte auch als Roman veröffentlicht, der größtenteils der Story des Spiels folgt.
Habe mir seinerzeit die Zähne daran ausgebissen. War nicht einfach, das Spiel. Aber enorm atmosphärisch. So sehr, dass ich mir Jahrzehnte später auch den Roman zu Gemüte führte. Ebenfalls lesenswert, wie das Spiel spielenswert ist.
Besagte Kritikpunkte existieren unbestritten, auch wenn ich die Zeitreisen (wohl aber den Planeten) nicht dazu zählen würde. Aber in Summe ein schönes Spiel.
4 Kommentare
Gibt es das heute auch noch zu kaufen?
Besagte Kritikpunkte existieren unbestritten, auch wenn ich die Zeitreisen (wohl aber den Planeten) nicht dazu zählen würde. Aber in Summe ein schönes Spiel.