Wir schreiben das Jahr 1992. LucasArts und Sierra bescheren dem Genre in regelmäßigen Abständen große Hits wie 'Monkey Island 2', 'Kings Quest 6', 'Larry 5' oder 'Indiana Jones and the Fate of Atlantis', die sich auch gut verkaufen. Electronic Arts, die zu diesem Zeitpunkt mit Action und Sportspielen Geld verdienen, möchten auch vom Hitgenre profitieren und schicken dafür den wohl Bekanntesten aller Detektive ins Rennen: Sherlock Holmes feiert im Fall des gezackten Skalpell seinen Einstand im Point- & Click-Adventure.

November 1888, Baker Street 221b
Durch einen Polizisten erreicht Holmes eine ungewöhnliche Bitte von Inspektor Lestrade. Scotland Yard untersucht einen Mordfall, der offenbar dem Ripper zuzuordnen ist: Eine junge Schauspielerin wurde brutal im Hinterhof des Regency Theaters ermordet. Als Tatwaffe kommt ein Skalpell in Frage und wirklich alles deutet auf den Ripper hin. Dennoch bittet der Inspektor um die Meinung von Sherlock Holmes. Zusammen mit Dr. Watson macht sich Holmes auch gleich auf den Weg zum Tatort. Schon nach wenigen Blicken auf das Opfer hegt Holmes erste Zweifel an der Theorie der Polizei. Nicht nur, dass der Ripper für diesen Mord sein eigentliches Revier Whitechapel verlassen hat, auch Merkmale am Opfer selbst geben Holmes zu denken. So findet er an den Einstichstellen weißes Pulver, die Wundränder sind seltsam gezackt und auch andere Spuren deuten daraufhin, dass der Ripper mit diesem Fall nichts zu tun hat. Holmes Interesse ist geweckt und unseres auch.
In der Haut von Sherlock Holmes bereisen wir fortan um die 50 Schauplätze, die sich über die Londoner Innenstadt verteilen, befragen Zeugen, verhören Verdächtige und untersuchen Spuren. Schnell zeigt sich, dass das Opfer Sarah Carroway wohl wirklich nicht auf das Konto des Rippers geht. Zeitgleich entfaltet sich eine Geschichte, die Holmes bis in die höchsten Ebenen der Londoner High-Society führt.
Willkommen im viktorianischen London
Das untere Drittel der Grafik geht übrigens für die Verbensteuerung drauf. Man sieht auf den ersten Blick, dass die LucasArts-Spiele hier Pate waren. Leider gestaltet sich die Inventar-Steuerung nicht so gut wie die von 'Monkey Island' und Co. Stattdessen sehen wir den Inhalt unserer Taschen erst nach einem Extra-Klick. Das Inventar wird übrigens auch angezeigt, wenn wir etwas auf dem Bildschrim benutzen möchten, was die Steuerung zumindest am Anfang etwas unausgereift erscheinen lässt. Eine kleinere Schriftart für die Verben und einen eigenen Bereich für die Gegenstände daneben wäre gut gewesen, aber vermutlich wollte man die Steuerung nicht komplett kopieren.
Huch, die reden ja!
Eine spannende Detektivgeschichte
An manchen Stellen stellt sich das Spiel dadurch aber selbst ein Bein. Wenn es um Leben und Tod geht und Holmes am Ende der Szene kurzen Prozess mit einer Bürotür macht, wirkt es einfach unpassend, dass wir zuvor jedes Objekt im Büro der Sekretärin anschauen - inklusive eines Bildes an der Wand, das für den Spielverlauf auf den ersten Blick keine Informationen birgt. An anderen Stellen gibt es ebenfalls Probleme mit der Logik. Holmes erfährt von einer Blumenhändlerin, dass ein Verdächtiger etwas in einem Wasserfass verloren hat. In dem Fass lagert sie ihre Blumen. Das Wasser ablassen darf Holmes nicht, da protestiert die Verkäuferin. Wenn er die Blumen stattdessen aus dem Wasser nimmt und sie achtlos auf eine naheliegende Holzkiste wirft, akzeptiert sie Kommentarlos.
Am Ende bleibt eine Detektivgeschichte, die einige überraschende Wendungen parat hält und in der es auch mehr als nur ein Todesopfer geben wird. Eine Geschichte, die gut in die Welt von Sherlock Holmes hineinpasst und die für viele spätere Adventures um den britischen Detektiv den Grundstein legt. So kommt natürlich schon der Chemietisch von Holmes zum Einsatz und auch der Hund Toby darf natürlich nicht fehlen. Ziemlich nutzlos ist allerdings das Notizbuch von Dr. Watson, in dem sämtliche Gespräche aufgezeichnet sind und das man sogar ausdrucken kann.
EA macht Adventures?
Ob es übrigens an EA liegt, dass es im Spiel auch eine recht gute, wenn auch einfache Dartsimulation eingebaut ist? Wir werden es vermutlich nie erfahren. Allerdings ist bekannt, warum man auf Sherlock Holmes setzte: Die Lizenz war im Vergleich zu anderen Titeln spottbillig.
Technik mit Tücken
So gibt es einen Patch (hier als Download), der die Probleme mit der Soundwiedergabe behebt, und den man anwenden sollte. In den Optionen der Dosbox setzt man die Parameter für xms, ems und umb auf "false" und lädt dann noch das Tool Jemmex. Wir haben Euch ein Verzeichnis vorbereitet (hier als Download), in das Ihr nur noch die Spieldateien laden müsst (ins Verzeichnis SH), dann mountet Ihr das gesamte Verzeichnis in der Dosbox und könnt die 'Lost Files' mit dem Befehl "sh" in der Dosbox starten.
Hat man das Spiel dann tatsächlich zum Laufen bekommen, wundert man sich über manche Texte, denn die Übersetzung ist zwar wirklich gut, hin und wieder wurde der Text aber nicht korrekt ins Spiel eingefügt, so dass statt des richtigen Textes andere Informationen eingeblendet werden. In diesen seltenen Fällen hilft das Tagebuch von Watson übrigens auch nicht.
Verfügbarkeit
'The Lost Files of Sherlock Holmes' erschien damals auf neun HD-Disketten, das Spiel kann man aktuell leider nirgendwo legal kaufen. Wie so oft bleibt also nur der Weg zu ebay, wo man schon Glück braucht um ein einigermaßen erschwingliches Exemplar zu erhalten.
'The Lost Files of Sherlock Holmes' ist ein durchaus gelungener Einstieg von EA ins Adventure-Genre und bietet für einige Stunden eine gemächliche, aber gute Unterhaltung. Die tolle VGA-Grafik trägt enorm zur Atmosphäre bei, leider mangelt es an Umgebungsgeräuschen. Wer von Sherlock Holmes oder klassischen Adventures nicht genug bekommen kann, sollte sich das Spiel als gute Alternative zu den Sierra und Lucas-Titeln einmal vornehmen.
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Lost Files of Sherlock Holmes : The Case of the Serrated Scalpel
- Entwickler
- Mythos Software
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 1992
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Lost Files of Sherlock Holmes bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
1 Kommentar
Allerdings sind die Hintergründe mit das beste, was es im Pixelbereich seinerzeit gegeben hat.