Giant Sparrow kannte man im Adventure-Bereich wahrscheinlich noch nicht allzu gut, als 'What Remains of Edith Finch' 2017 für PC und Konsolen veröffentlicht wurde. Mit dem experimentellen Indie-Abenteuer 'The Unfinished Swan' konnte das Studio aber bereits aufhorchen lassen. Mit Annapurna Interactive steckt dahinter zudem ein amerikanischer Publisher, dessen Wurzeln im Filmbereich liegen - Annapurna Pictures hat empfehlenswerte Streifen wie 'American Hustle' mitproduziert. Im Review verraten wir Euch, ob sich das fantasievolle First-Person-Drama aus unserer Sicht lohnt.
Eine Familiengeschichte
Das First-Person-Drama 'What Remains of Edith Finch' handelt von der Rückkehr der erst 17-jährigen Edith Finch in das Haus ihrer Familie, das irgendwo an einem Strand in Orcas Island gelegen ist (Washington). Als letzte Überlebende ihres Stammbaums macht sich die junge Frau auf die Suche nach Hinweisen bezüglich eines seltsamen Familienfluchs. Jedes entdeckte Schicksal hält sie in ihrem Buch fest und will so verhindern, dass die tragische Familiengeschichte für die Nachwelt in Vergessenheit gerät.
Überall im Anwesen offenbaren sich versperrte Türen. In die dahinter liegenden Zimmer kann Edith zunächst nur durch ein Guckloch spähen. Im Andenken wurden die meisten Zimmer verriegelt, ohne etwas zu verändern. Die Einrichtung passt also stets zur Persönlichkeit des jeweiligen Familienmitglieds und darin befindet sich auch eine Notiz, die Aufschluss über die Umstände des Ablebens gibt. Diesen letzten Moment darf der Spieler sogleich selbst steuern, wobei das Gameplay sich an jede dieser Kurzgeschichten anpasst, die mitunter sehr surreal sein können.
Wundervoll erzählte Kurzgeschichten
Es macht Sinn, gründlich vorzugehen, um die versteckten Zugänge zu den diversen Zimmern zu entdecken. Beim ersten Durchspielen entgeht einem wahrscheinlich die eine oder andere Familientragödie, denn manches ist optional. Das macht nichts, denn jede Kurzgeschichte kann problemlos für sich stehen und würde ohne das Drumherum einwandfrei funktionieren. Die Rahmenhandlung bleibt gezielt frei für Interpretationen und ist lediglich das Tüpfelchen auf dem „i“.
Im Hinblick auf die Spielzeit sollte man bei diesem stimmungsvollen Abenteuer von Giant Sparrow drei Stunden einplanen und mehr braucht es auch nicht. Fröhliche Kost wird in dieser Zeit nicht geboten - das Genre pendelt zwischen Familiendrama und surrealem Horror. Zwar dauert jede Kurzgeschichte lediglich einige Minuten, doch die sind stets auf den Punkt gebracht und bohren sich überaus positiv ins Gedächtnis. Wir bewegen uns auf einem sehr hohen Erzählniveau und die Atmosphäre bleibt ungemein dicht.
Das comicartig erzählte Horror-Drama rund um das Ableben eines einstigen Kinderstars ist sogar eine der besten Kurzgeschichten, die es jemals in ein Spiel geschafft haben - unglaublich knackig und pointiert erzählt und sogar spielerisch unterhaltsam umgesetzt. Das Gameplay passt sich übrigens stets an die Erfordernisse der jeweiligen Geschichte an und ist somit sehr variabel gehalten.
Adaptives Gameplay mit stilsicherer Präsentation
Mal steuern wir einen Mann, der im Alltag in eine Traumwelt versinkt, mal steuern wir eine Spielfigur durch ein First-Person-Comic-Abenteuer, mal übernehmen wir die Rolle eines Kleinkindes oder lassen einen Drachen steigen... mit jeder Kurzgeschichte ändert sich das Gameplay, was ab und zu gewöhnungsbedürftig sein kann, weil manchmal Tasten erforderlich sind, die vorher noch nicht so essentiell waren. Zugleich trägt das dazu bei, dass man in die jeweilige Rolle hinein findet. Die variierende Handhabung stellt normalerweise keine Hürde dar. Per Controller steuert es sich aber zweifellos besser, als mit Maus und Tastatur. Beides wird aber unterstützt. Gespeichert wird stets automatisch, insbesondere beim Betreten eines neuen Zimmers.
Wohlgemerkt, echte Rätsel gibt es in 'What Remains of Edith Finch' allerdings keine (oder sagen wir lieber fast keine) - wer ein klassisches Point&Click-Abenteuer erwartet, ist an der falschen Adresse. Eine Konstante ist die sehr gelungene First-Person-Präsentation, wobei selbst die sich manchmal optisch an die narrativen Erfordernisse anpasst. Die 3D-Spielwelt wurde jedenfalls sehr detailliert visualisiert und es macht mächtig Spaß, sich hier umzusehen und die Spielfigur kommentiert zuweilen die eine oder andere Impression. Im Verlauf des Abenteuers ändern sich sogar die Lichtverhältnisse (es wird dunkler) und man hat wirklich das Gefühl, dass Zeit vergeht. Klasse sind auch Soundtrack und englische Sprachausgabe gelungen, die sich keine nennenswerten Schnitzer erlauben und viel zur tollen Atmosphäre beitragen. Professionelle deutsche Untertitel sind vorhanden.
'What Remains of Edith Finch' ist narrativ gesehen wahrscheinlich das beste Adventure des Jahres 2017. Giant Sparrow weiß, wie man mit Worten umzugehen hat und könnte aus diesem Spiel wahrscheinlich problemlos ein dichtes Buch basteln, das Fans von Autoren wie Neil Gaiman und H.P. Lovecraft sicherlich gefallen würde. Die Entwickler verlassen sich dabei nicht nur auf die Story, sondern bieten zudem buntes, wenn auch eher simpel gestricktes Gameplay. Klassische Rätsel sollte man sich so gesehen nicht erwarten, aber wem das nicht so wichtig ist, der bekommt hier einen wahrlich erstklassigen Hit vorgesetzt. Sehr empfehlenswert!
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What Remains of Edith Finch
- Entwickler
- Giant Sparrow
- Publisher
- Annapurna Interactive
- Release
- 25. April 2017
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.giantsparrow.com/games/finch/
- Art
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Independent
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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6 Kommentare
PS4 Box
Fun Fact zu Edith Finch: Die Weihnachtsgrüße bei Adventure Gamers werden immer damit abgeschlossen, dass am Ende ein Spiele-Komponist ein "Mini-Konzert" gibt. 2017 dachte ich mir: "Welche Musik ist dir 2017 besonders haften geblieben? Die aus Edith Finch!"
Also dachte ich mir, ich recherchiere mal etwas zum Komponisten Jeff Russo und frag ihn kurzfristig an - vielleicht hab ich ja Glück. Dann bin ich bei Wikipedia auf der Seite des Komponisten gelandet.
"Russo is also known for his work as composer on various television series, notably Fargo, Legion, and Star Trek: Discovery. He also scored the miniseries The Night Of, and the acclaimed video game What Remains of Edith Finch. For his work on Fargo, he won the Primetime Emmy Award for Outstanding Music Composition for a Limited Series, Movie, or Special in 2017."
Kein Wunder, dass mir schon die Musik zu Fargo so gut gefallen hat. Wer hätte gedacht, dass man es hier mit einem Emmy-Preisträger zu tun hat. Als kurzfristiger Kandidat für unser beschauliches Nischen-Feature aber wohl eher nicht das Pferd, auf das man seine Hoffnung setzen sollte.
Es gab auch nicht so viel Text und der ist zum Teil auch ins Spiel eingebunden, so dass die fehlende deutsche Sprachausgabe kein Problem sein sollte. Der Text ist ja übersetzt.
Als Gratis-Spiel muss man es sich einfach einmal anschauen. Und wenn man schon dabei ist, kann man es auch durchspielen, viel länger als zwei Stunden benötigt man nicht.