Das bereits dritte Adventure nach einer Romanvorlage von Agatha Cristie liefert uns AWE Games mit 'Das Böse unter der Sonne'. Dieses Mal nimmt der Spieler erstmals als Meisterdetektiv Hercule Poirot die Ermittlungen auf einer verträumten Ferieninsel auf. Ein Novum, denn in beiden Vorgängern 'Und dann gab's Keines mehr' und 'Mord im Orient Express' wurde eine zusätzliche Figur eingeführt, die die Ermitlungen leitete. Trotzdem boten die Vorgänger solide Unterhaltung für Krimifreunde. Ob das hierzulande von JoWooD vertriebene Spiel mit den Vorgängern mithalten kann, verraten wir in unserem Review.

London, 1940
Allerdings – und das sei gleich zu Beginn verraten – wird auch im dritten Teil der Agatha Cristie Adventures nicht auf eine Änderung der Handlung verzichtet. Zu vorhersehbar wäre das Spiel für Kenner des Buches. Und so treffen wir im Londoner Winter des Jahres 1940 auf Hercule Poirot und seinen Gast, Mr. Hastings. In London wird ein Angriff deutscher Bomber erwartet und zur Sicherheit aller wurde der Strom abgeschaltet. Um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben, beginnen Poirot und Hastings ein Rollenspiel, in dem Hastings einen der letzten Fälle des berühmten Detektivs nacherleben darf. Poirot schildert Hastings die Umstände und dieser darf entscheiden, was Poirot macht und wie er reagiert. Um Hastings die Arbeit nicht unnötig zu erschweren, baut Poirot nur Personen und Räume in seine Erzählungen ein, die auch für den Fall relevant sind, alles Andere lässt er kurzerhand wegfallen. Dennoch bleiben genügend Personen und Screens zum Erkunden für Hastings übrig und fast jeder der anderen Charaktere auf der Insel hat einen Wunsch, den der von Hastings gesteuerte Poirot zu erledigen hat. So muss Poirot beispielsweise Geschenke für einen Hochzeitstag beschaffen oder einen verölten Vogel vor dem sicheren Tod bewahren, ehe es dann eigentlich recht spät im Spiel um die Aufklärung des eigentlichen Mordes geht.
Ego-Perspektive? Nach der erfreulich langen Eröffnungssequenz von 'Das Böse unter der Sonne', in der wir drei unterschiedliche Filme zu sehen bekommen, die alle mit dem Geschehen auf der Insel zusammenhängen, finden wir uns in der Person von Hastings im Arbeitszimmer des berühmten belgischen Detektivs Poirot wieder. Dabei folgt dann sofort die erste Überraschung: Statt der aus den Vorgängern bekannten und bewährten Third-Person-Perspektive erwartet uns ein Adventure mit Ego-Perspektive. Nun gut, nach dem sich die anfängliche Verwunderung gelegt hat, beginnt Hastings für uns, das Büro zu erkunden. Einiges an Arbeitsmaterialien wurde im Raum verteilt und ohne Notizblock oder Stoppuhr lässt Poirot seinen Freund nicht mit den Ermittlungen beginnen. So füllt sich auch nach und nach das neue Interface, das wie gewohnt am oberen Bildschirmrand angezeigt wird. Neben der schon angesprochenen Stoppuhr und dem Notizblock finden sich hier auch das Inventar sowie ein Bild von Poirot beziehungsweise Hastings, mit dem man jederzeit zwischen Insel und Poirots Büro wechseln kann. Jedes dieser Utensilien wird von Poirot in seiner Handhabung erklärt, so erfährt man unter anderem auch ohne langes Handbuchlesen, dass im Notizblock eine Auflistung aller gefundenen Dokumente und aller Verdächtigen verfügbar ist.
Los geht’s! Nach einem Klick auf das Bild von Hastings geht es dann endlich los, wir finden uns auf der Insel Seadrift Island wieder und hier erwartet uns dann auch die vertraute Perspektive. In gewohnter Point & Click Manier steuern wir nun Poirot über die Insel. Dabei fällt zuerst auf, dass die Insel eigentlich nichts von einem klassischen Urlaubsziel wie beispielsweise Mallorca hat. Im Gegenteil: Wolken hängen vor der Sonne und auch Poirot wagt sich nur mit Hut aus dem Haus. Doch das Wetter hält die Briten nicht davon ab, ein erfrischendes Bad zu nehmen. Doch nicht nur das Wetter macht einen kühlen Eindruck. Generell sind alle Grafiken recht unbelebt, wenn man einmal von den vorbeiziehenden Wolken oder den Wellenbewegungen des Wassers absieht. Durch die anfängliche Bemerkung Poirots, dass nur für den Fall relevante Personen und Orte beschrieben werden sowie die immer wiederkehrende Information über eine durchgeführte Evakuierung gibt es zwar eine Erklärung für die recht unbewohnte Insel, dennoch hätten ein paar Statisten dem Spiel einiges mehr an Leben einhauchen können. So wandert Poirot ständig durch die gleichen Hintergründe und hofft, irgendwo einen Gesprächspartner zu finden. Die übrigen Gäste halten sich nämlich in jedem Kapitel an einem Ort auf. Da es in dem Spiel auch keine Übersichtskarte gibt, müssen sämtliche Bildschirme in jedem Kapitel besucht werden, um nicht doch eine der Personen zu verpassen.
…oder doch nicht? Nachdem sich Poirot den anderen Urlaubsgästen vorgestellt hat, kommen schnell die ersten Aufgaben auf ihn zu. Eine junge Dame möchte beispielsweise Vögel beobachten und braucht dafür einen getarnten Beobachtungsposten. Poirot möchte ihr eigentlich den Wunsch ablehnen, schließlich ist er doch eher ein Denker. Da er aber von Hastings gesteuert wird, der einer Frau keinen Gefallen abschlagen kann, wird dem Wunsch natürlich Folge geleistet. Mit ein paar Latten und einigen anderen Utensilien ist das auch schnell erledigt. Weiter geht’s, irgendwo muss doch eine Leiche versteckt sein… Ist sie auch. In einem Gespräch erfährt Poirot von einem Mordfall, der sich bereits vor einiger Zeit ereignet haben soll, für den aber bisher noch kein Tatverdächtiger festgenommen werden konnte. Da die übrigen Aufgaben den Detektiv nicht wirklich fordern, nimmt er sich auch diesem Fall an. Anhand einer Polizeiakte und einiger Aussagen ist auch das kein Problem. Aber eine Leiche haben wir noch immer nicht gesehen. Und das dauert auch noch. Erst gegen Mitte des Spiels geschieht der eigentliche Mord und Poirot begibt sich auf Mördersuche. Dass der berühmte Detektiv es nebenbei noch mit einem Drogenring, einem Deserteur, einem Piratenschatz nebst dazugehörigen Geist und verschwundener Post aufnimmt, versteht sich von selbst. Leider wird das Spiel durch die vielen Handlungsstränge und die große Anzahl Verdächtiger auch recht schnell unübersichtlich. Wäre da nicht der Notizblock, in den Poirot noch zu erledigende Aufgaben einträgt – Hastings wäre einige Male ratlos zurück geblieben. Doch selbst wenn es mit dem Notizblock nicht mehr weiter geht, steht Poirot seinem Freund mit Rat und Tat zur Seite: Ein Utensil namens „Magischer Finger“ gibt für jeden Verdächtigen genaue Hinweise, was zu tun ist.
Schau mir ins Gesicht! Für ein Detektivspiel ist es ungemein nützlich, die Gestik der Verdächtigen zu beobachten, um herauszufinden, wer lügt. Bisher scheiterte das an den meist steifen Gesichtern. Für 'Das Böse unter der Sonne' wurde vom Entwickler AWE Games versprochen, dass die Charaktere eine realistischere Gestik bekommen. Und man hat Wort gehalten: Die Gesprächpartner besitzen eine deutliche Mimik. Stirnrunzeln, das Hochziehen von Augenbrauen, Kopfsenken oder Wegblicken, alles passt und gibt einen Einblick in die momentane Verfassung des Gegenübers. Auch die übrigen Bewegungen wirken nicht mehr so holperig wie in den Vorgängern. Noch schicker wird es in den Zwischensequenzen, die in Rendervideos erzählt werden. Dennoch sehen viele aktuelle Adventures einfach besser aus. Die Lippenbewegungen passen leider nicht auf die deutsche Sprachausgabe, sie sind auf die englische Version abgestimmt. Die findet sich aber auch auf der DVD.
Nicht immer ist das Original besser… Die deutsche Sprachausgabe ist allerdings der englischen jedoch vorzuziehen. Fast ausnahmslos ist der Ton in der deutschen Version besser abgemischt. Auch die deutschen Sprecher hinterlassen in der Regel einen professionelleren Eindruck, als die englischen Originale. Speziell Hastings und Poirot machen ihre Sache hervorragend, aber auch die übrigen Sprecher sind, bis auf wenige Ausnahmen, gut gewählt. Die Texte sind auch ohne größere Fehler übersetzt, lediglich bei einigen Sätzen ist der falsche Sprecher zugeordnet und in seltenen Fällen passt die Betonung nicht.
Insgesamt ist die deutsche Übersetzung ordentlich, der durchaus gewollte Humor wurde gut eingefangen und funktioniert auch auf Deutsch. Damit ist 'Das Böse unter der Sonne' eine Ausnahme, denn die bisherigen Titel aus der Agatha Cristie Reihe hatten da so ihre Probleme. Auch hier ragt Poirot wieder heraus, denn nicht nur der französische Akzent wird hervorragend und glaubwürdig wiedergegeben, auch die kleinen Macken und Eigenheiten des berühmten Detektiv kommen voll zur Geltung. Leitern sind beispielsweise gar nichts für ihn, was dazu führt, dass er sich von einer Frau von einer Bucht in die Andre bringen lässt. An sich ja nicht schlimm, dass Poirot die Frau aber rudern lässt, sorgt schon für einiges an Erheiterung. Auch die häufig auftretenden Diskussionen zwischen Hastings und Poirot, sorgen für so manchen Schmunzler, besonders wenn Frauen ins Spiel kommen. Alle Dialoge lassen sich übrigens abbrechen, wenn auch das Spiel äußerst träge auf solch einen Wunsch reagiert.
Im Gegensatz zu den Dialogen hätte die sehr unauffällige Musik ruhig etwas verstärkt eingesetzt werden dürfen. Manchmal fehlt sie komplett und einige Stellen hätten auch durch einen passenderen Musikeinsatz um einiges spannender werden können.
Harte Nüsse… … findet man in 'Das Böse unter der Sonne' eher selten. Meist bestehen die Rätsel darin, die Dialoge zu führen, wobei manchmal auf die richtige Wortwahl geachtet werden muss. Ansonsten gilt es fast immer, Gegenstände einzusammeln und am richtigen Ort wieder zu verwenden. Da die Gegenstände meistens nicht sonderlich versteckt sind, gestaltet sich das auch nicht besonders schwer. Ansonsten dürfen noch einige Gegenstände im Inventar kombiniert werden, um zum Ziel zu kommen. Selbst die wenigen schwereren Aufgaben, wie das Öffnen eines Schmuckkästchens, dürften niemanden längere Zeit aufhalten. Generell besteht die Schwierigkeit eher darin, die verschiedenen Handlungsstränge auseinander zu halten und die große Zahl Verdächtiger wieder zu finden. Speziell in den ersten Kapiteln trägt die Zahl der Personen eher zur Verwirrung bei. Die ständig verfügbare Hilfe funktioniert gut. Selbst beim Finale wird Hastings nicht allein gelassen. Man hat hier die Wahl, ob man die Beweiskette alleine aufstellen möchte oder ob Poirot helfen soll.
(K)Ein Vergleich mit dem Buch...
AWE Games haben erstmals kein alternatives Ende in das Spiel eingebaut, die zusätzlichen Handlungsstränge machen das aber auch unnötig, denn selbst wer das Buch oder den Film kennt, hat auf Seadrift Island noch genug zu entdecken. Insgesamt bleibt das Spiel dabei immer fair und bietet in den rund zehn Stunden, die Poitrot auf der Insel unterwegs ist eine gute Unterhaltung.
Mit 'Das Böse unter der Sonne' haben AWE Games einige Schritte in die richtige Richtung gemacht, speziell die Gestik und Mimik der Charaktere wirkt sich positiv auf die Atmosphäre und die Glaubhaftigkeit der Verdächtigen aus. Auch die neu in die Geschichte eingebauten Charaktere und Handlungsstränge funktionieren gut, wenn sie auch Anfangs unübersichtlich erscheinen. Für die nächsten Titel erhoffe ich mir eine bessere musikalische Untermahlung und lebendigere Hintergründe. 'Das Böse unter der Sonne' ist für mich dennoch das Beste Spiel aus der Agatha Cristie Reihe.
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Agatha Christie: Das Böse unter der Sonne
- Entwickler
- AWE Games
- Publisher
- The Adventure Company
- Release
- 1. Oktober 2007
- Spielzeit
- 10 Stunden
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.agathachristiegame.com/euts/
- Sprachen
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- Stichwörter
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