Wer mit einem Stilleben in erster Linie Äpfel und Eier in Holzschalen verbindet, dürfte überrascht sein. Beim Spielen von Microïds neuestem Thriller-Adventure 'Still Life' erhält dieser Begriff nämlich ganz neue Dimensionen. Auf zwei verschiedenen, jedoch miteinander verwobenen Erzählebenen stürzt man sich mit den beiden Protagonisten in die Ermittlungen zu zwei Mordserien, die erschreckende Parallelen aufweisen. Menschen mit schwachen Nerven, Abneigung gegenüber Blut, derber Sprache oder nackter Haut seien von vorne herein gewarnt, denn hier geht es richtig zur Sache. Die FSK 16-Einstufung hat 'Still Life' nämlich nicht umsonst und fällt sogar im Vergleich mit dem amerikanischen Rating (Mature - ab 17) noch ziemlich großzügig aus.

Die Abgründe der Psyche
Erzählt wird die Geschichte der jungen FBI-Agentin Victoria McPherson, die sich im Chicago der Gegenwart mit einem Serienkiller befassen darf, der eine Vorliebe für junge Frauen zu haben scheint. Im Rahmen ihrer Ermittlungen findet sie die alten Aufzeichnungen ihres Großvaters, der 1929 in Prag einen scheinbar ähnlichen Fall zu lösen hatte. Der Opa hört übrigens auf den Namen Gustav McPherson und beschäftige sich schon in 'Post Mortem', das im Jahre 2002 erschien, mit den den Abgründen der menschlichen Psyche.
Jedenfalls spielt man also fortan abwechselnd in Prag und Chicago, zwei Orte, die eigentlich unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber nicht nur dem Spieler fällt mit der Zeit auf auf, dass hinter der mysteriösen silbernen Maske vielleicht nicht derselbe Killer steckt, aber sicher jemand, der Victorias Familiengeschichte zu kennen scheint.
Wie es sich gehört Per Point & Click, oder wahlweise auch mit der Tastatur, gilt es nun zu Anfang mit forensischen Mitteln und einem scharfen Verstand den Killer mit dem Zylinder und dem schwarzen Mantel zu entblößen. Wenn auch nicht ganz intuitiv, so geht die Steuerung doch schnell in Fleisch und Blut über. Kann ein Objekt aufgehoben werden, verwandelt sich der dynamische Cursor in eine Hand, bei anderweitiger Interaktionsmöglichkeit in einen Schraubenschlüssel, und besteht die Möglichkeit mit einem Verdächtigen oder Kollegen zu sprechen, in eine Sprechblase. Per Rechtsklick wird das Inventar geöffnet, wo neben den gesammelten Gegenständen unter anderem auch Akten und Notizen eingesehen werden können.
Interaktionen mit der Umwelt und Gegenständen aus dem Inventar ist übrigens nur möglich, wenn oben links ein Handsymbol eingeblendet wird, was das Gameplay recht hölzern erscheinen lässt. Im Inventar lassen sich die eingesammelten Objekte ferner allesamt in Nahansicht begutachten und drehen. Spielerischen Nutzen hat dies aber in den seltensten Fällen.
Die Xbox-Version steuert sich ähnlich einfach. Während die Figuren entweder mit dem linken Ministick oder dem Steuerkreuz durch die Locations gelenkt werden, wird durch Drücken der einzelnen Aktionstasten mit der Umwelt interagiert. Mit der Y-Taste erreicht man da das Inventar, die X-Taste bewirkt schnelleres Laufen, die B-Taste läßt den Spieler beispielsweise Dialoge abbrechen und mit der A-Taste werden je nach Situation unterschiedliche Aktionen ausgeführt. Es ist lediglich etwas schade, dass Vicky und Gus ab und zu an irgendwelchen Ecken hängenbleiben. Dies passiert glücklicherweise aber nicht sehr oft.
Leben und Tod - Licht und Schatten
Wenn man auch im Großen und Ganzen sagen kann, dass den Kanadiern mit 'Still Life' ein Titel gelungen ist, an dem es nicht allzu viel zu Meckern gibt, so ist leider gerade das Rästeldesign mit der größte Kritikpunkt. Insgesamt sind die "richtigen" Knobeleien, wie zum Beispiel Inventar- oder Dialogrätsel eher spärlich vorhanden und sowohl Schwierigkeitsgrad als auch Rätseldichte sind mit einem 'Black Mirror' nicht vergleichbar. Möchte man daraus schießen, 'Still Life' sei mehr so etwas wie ein interaktiver Krimi und der Schwierigkeitsgrad der Rätsel dem Spielfluss und der grandiosen Story unter zu ordnen, so liegt man damit nicht gänzlich falsch. Im krassen Kontrast aber zum allgemein eher niedrigen Schwierigkeitsgrad stehen nämlich wenige, aber ungleich schwere Logikrätsel. Konkret seien hier das Dietrich- und das Kuchenrätsel genannt, die eine hohe Frustrationstoleranz fordern und den Spielfuss extrem stören. Von der größten Schwäche zur größten Stärke des Spiels: von der Atmosphäre her ist 'Still Life' nämlich unschlagbar. Dazu trägt natürlich neben der genialen Story in erster Linie die Grafik bei, die sich wirklich sehen lassen kann. Wie schon bei den beiden 'Syberia'-Teilen, deren Grund-Engine 'Still Life' ebenfalls verwendet, brilliert das Team von Microïds hier vorrangig durch atemberaubende Schauplätze und einmaliges Design. Seien es irgendwelche verlassenen Straßen im Prag der Zwanziger, oder eine Sado-Maso-Club im modernen Chicago - alle sind sie mit einer solchen Liebe zum Detail gestaltet, dass es einem schier den Atem stocken lässt. Auch sind die Hintergründe keineswegs statisch: Sich im Wind wiegender Efeu, rauchende Schornsteine, streunende Katzen oder Studenten sorgen für das nötige Etwas um die Handlung herum. Besonders hervor zu heben seien hier neben den Wettereffekte wie Nebel und Schnee auch die Wassereffekte, die zumindest im Adventuregenre noch ihresgleichen suchen.
Durchaus positiv präsentieren sich außerdem die vorgerenderten Zwischensequenzen, die an Detailgrad und Charakterdesign absolut erstklassig sind. Schnitt, Cinematographie und Licht sorgen ferner nicht nur für das nötige Gruselgefühl, sondern sind durchaus als künstlerisch wertvoll zu bezeichnen. Vor allem aber tragen sie dazu bei, eine so bedrückende, düstere, kalte und etwas surreale Atmosphäre zu schaffen, die dem Spieler den einen oder anderen wohlig kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. A propos Kunst, an dieser Stelle seien auch noch einmal ausdrücklich die beeindruckenden Werke von Daniel Peron gelobt, dem wahren Künstler hinter dem Pseudonym "Mark Ackermann". Beim Anblick dieser handwerklich schönen und unglaublich ausdrucksstarken Bilder nämlich gehen sicher nicht nur Kunstliebhabern die Herzen über.
Im grafischen Bereich unterliegt die Xbox-Version von 'Still Life' ihrem PC-Pendant. Nicht nur, dass die Hintergründe auf einem handelsüblichen Fernseher bei weitem nicht so gestochen scharf sind wie auf einem PC-Monitor, nein, vor allem störte beim Testen die Unleserlichkeit der Texte. Und das sind, gerade wenn man an die Dokumente im Inventar denkt, nicht gerade wenige. Nur mit sehr viel Mühe und Inkaufnahme von Augenkrebs lassen sich dort einige weitere Informationen ergattern.
I can't relax in Germany?!
Wo wir allerdings bei Hintergründen, Zwischensequenzen und der Kunst ins Schwärmen geraten, müssen wir den entstandenen Enthusiasmus jedoch angesichts des Charakterdesigns gleich wieder leicht zurücknehmen. Recht polygonarm und besonders im Kontrast zu dem extrem detaillierten Locations treten Victoria und Co. hier auf. Auch haben einige Nebencharaktere etwas merkwürdige Proportionen, wie zu große Hände und Köpfe, die sich mit dem ansonsten realistischen Stil nicht recht vertragen wollen. Leider fallen auch die Bewegungsanimationen eher negativ auf, denn egal ob sie gehen oder laufen, die meisten Charaktere erwecken den Eindruck, als hätten sie Besenstiele gefrühstückt. Hölzern wirken auch die Sprachanimationen, wobei man hier definitiv relativieren muss: Die englische Version, die sogar durchaus lippensynchron ist, nimmt hier nämlich den Schrecken, den man beim Spielen der deutschen Fassung bekommt. Mit der Synchronisation kommen wir dann auch zu einem weiteren Punkt, der wirklich stört. Zum Einen hätte man für die vielen verschiedenen Charaktere durchaus mehr Sprecher engagieren können, so dass die Stimmen nicht so erschreckend gleich klingen. Außerdem muss man ein Spiel für den deutschen Markt nicht unbedingt in Frankreich lokalisieren lassen, denn grausame Betonungen und monotones Sprechen sind nicht nur unschön, sondern schlichtweg ätzend. Dass hier die gleichen Fehler begangen wurden wie bereits bei 'Syberia', zumal die Stimme von Victoria auch die von Kate Walker ist, kann man bestenfalls schade nennen. Tatsächlich allerdings beginnen selbst dem geneigtesten Zuhörer nach längerem Spielen die Ohren zu bluten. Vom Sprachwitz und der wunderbar trocken treffenden Ironie und dem rabenschwarzen Humor der englischen Previewversion ist auf Deutsch nämlich leider nichts mehr übrig.
Mit den Synchronisationen von anderen vergleichbaren Titeln kann 'Still Life' definitiv nicht mithalten und muss sich demnach auch in Sachen Atmosphäre hier einen dicken Abzug gefallen lassen. Die Musik hingegen ist durchgängig passend: Zwar nicht besonders innovativ, aber immer treffend und der Atmosphäre sehr zuträglich. Sei es die etwas dudelige Fahrstuhlmusik im Haus von Victorias Vater oder ein dröhnendes, altes Radio in Prag - die dezente musikalische Untermalung wirkt sehr treffend und stört nicht.
Am Ende ist man nicht schlauer...
Auch vom Technischen her kann 'Still Life' durchaus begeistern, denn so frei von Bugs und einwandfrei laufend präsentieren sich die wenigsten grafisch vergleichbaren Titel. Hervorzuheben seien hier die Ladezeiten (bei der vollständigen Installation), die sensationell kurz sind und sich so sehr positiv und angenehm auf den Spielfluss auswirken. Im Vergleich zur PC-Version fällt die Umsetzung für die Xbox allerdings erneut etwas ab - die vielen kleinen Ladesequenzen fangen mit der Zeit einfach an, zu nerven. Die Spielzeit hingegen liegt sowohl auf dem PC als auch auf der Xbox bei gut 15 Stunden.
Hier in Deutschland wird 'Still Life' in einem einfachen, dezent designten DVD-Case auf zwei CDs vertrieben. Wer sich jedoch die Mühe macht (und alt genug ist), sich ein englisches Exemplar zu importieren wird allerdings, abgesehen von den oberhalb bereits angesprochen Vorteilen, mit einer richtig schicken Aufklappbox und einem inliegendem Jewelcase belohnt.
Die Xbox-Fassung erscheint lediglich auf einer Disc im typischen grünen DVD-Case. Interessanterweise trägt das Cover den Aufdruck "Nur für Xbox" - war wohl Wunschdenken.
(Die Absätze über die Xbox-Version wurden von Matthias Holz verfasst)

Mit 'Still Life' hat Microïds hier ein absolutes Top-Adventure abgeliefert, dass trotz seiner offensichtlichen Schwächen dennoch zu begeistern weiß. Story und Atmosphäre, unterstrichen durch traumhaft designte Locations können von der ersten bis zur letzten Minute begeistern und lassen über das stellenweise mangelhaftes Rätseldesign hinweg sehen. Trotz des linearen Ablaufs hat 'Still Life' übrigens einen erstaunlich hohen Wiederspielbarkeitswert, betrachtet man nämlich gewisse Hinweise mit dem Wissen um den Ausgang.
Schade und ziemlich ärgerlich ist allerdings das Ende, das nur allzu sehr auf eine Fortsetzung ausgelegt ist. Ob daraus allerdings etwas wird, bleibt angesichts der strukturellen Veränderungen bei Microïds mehr als fragwürdig und so bleiben viele Fragen wohl offen. Nichtsdestotrotz ist 'Still Life' bisher jedoch der absolute Top-Titel diesen Jahres.
Fazit von Matthias Holz:
Es ist eigentlich kaum zu glauben. Was haben wir Adventure-Spieler den Entwicklern angetan, dass sie uns in regelmäßigen Abständen mit potentiellen Top-Adventures beglücken, die aber meist allesant kleinere Macken und - was noch viel wichtiger ist - selten blöde Endsequenzen haben.
Auch 'Still Life' ist ein Vertreter dieser Art. Generell machen die Jungs von Microïds erst mal alles richtig: Tolle Atmosphäre, wunderbare Grafik, interessante Hauptcharaktere, passende Hintergrundmusik... doch dann beginnen die ersten Dialoge. Man fragt sich: Warum bitte klingt Victorias Kollegin wie ein Schulmädchen? Warum spricht ihr Vater so, als würde er gleich einschlafen? Und warum klingt die deutsche Sprachversion im Vergleich zur englischen so entschärft? Ja liebe Leute, eine halbgare Synchronisation hat bereits ganze Spiele versaut. So weit kommt's bei 'Still Life' zum Glück nicht, denn dafür ist der Titel einfach zu gut. Aber bitte, meine franco-kanadischen Freunde, überlasst die Lokalisierung beim nächsten Adventure, sollte es denn kommen, eurem deutschen Publisher!
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Still Life
- Entwickler
- Microïds
- Publisher
- Flashpoint AG
- Release
- 9. Mai 2005
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Webseite
- http://www.stilllife-game.com
- Sprachen
-
- Systeme
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- Stichwörter
- Still Life bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
4 Kommentare
Das Spiel lohnt sich echt wegen der spannenden Geschichte und einer forschen und mutigen Hauptfigur, aber andere Sachen haben mich ja wahnsinnig gemacht. Vor allem die Puzzles, da gebe ich dem Test voll und ganz Recht. Mann, man spielt 5 Minuten, dann muss etwas zusammengesetzt werden, dann spielt man wieder 5 Minuten und muss wieder etwas zusammensetzen. Und bei den Dietrichen, mit denen man ein Schloss knacken musste, habe ich das Handtuch geworfen und in die Lösung geguckt. Außerdem war der Cursor manchmal unpräzise, z.B. muss man aus einer Werkzeugkiste ein Teppichmesser nehmen, aber der Cursor ändert sich nicht, wenn man auf die Kiste geht; sie wird also nicht als Objekt erkannt, mit dem man interagieren kann, sondern erst, wenn man unter die Kiste zeigt, ändert sich der Cursor und man kann die Kiste benutzen. Ähnliche Probleme hatte ich an ein paar Stellen.
Besonders krass ist mir der Unterschied bei der Steuerung zu Tale of Hero aufgefallen, weil ich das gerade kurz zuvor gespielt hatte. Während ich mich so schön daran gewöhnt hatte, alle Aktionen mit einem einfachen Mausklick auszuführen, ist die Steuerung bei Still Life unkomfortabel.
Die Sprecher fand ich jedoch gut, aber ich hatte auch keine englische Preview
Einige Stellen fand ich unlogisch:
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Ich hoffe jedenfalls, dass da noch einiges im zweiten Teil geklärt wird. Die Cutscenes waren auf jeden Fall super
So, jetzt habe ich mich genug darüber ausgelassen. Wer das Spiel kennt kann gerne mit mir darüber diskutieren.
Für den Fall das nachfolgende Generationen das gleiche Problem haben und an der gleichen Stelle hängen, poste ich mal die Lösung. In erster Linie ist es ein Problem mit der Bedienung (und blöder Programmierung):
Nach einer Rückblende muss die Hauptfigur früher oder später den Eingang zu einem Bunker finden. Wer Probleme damit hat, den Bunker zu finden, sollte folgendes machen:
- Mit dem Metalldetektor geht es dann hinters Haus. Der Detektor muss auf 3 eingestellt werden. Damit klickt man dann auf die graue Blechtonne mit dem Laub. Victoria sagt "Nichts". Anschließend ruft man das Inventar auf und nimmt den Detektor aus dem Inventar-Feld und klickt erneut auf die graue Tonne. Es sollte dann eine Animation ablaufen, in der Vic die Tonne zur Seite räumt. Es reicht nicht aus, nur mit Hilfe der Schallwelle nach dem Eingang zu suchen, das Gerät muss zusätzlich aus dem Inventar selbst genommen werden und zum Einsatz kommen. Saudoof.
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