Drei Jahre nach der Veröffentlichung von 'The Moment of Silence' und der Entwicklung einiger Handy-Adventures in der Zeit danach, meldet sich das deutsche Entwicklerteam House of Tales anno 2007 zurück: Und 'Overclocked' soll dabei alles andere sein, als ein gewöhnliches Adventure. Es soll alte Erzählstrukturen aufbrechen und so auf inhaltlicher Ebene für Innovationen sorgen, anstatt mit großer Technik zu protzen. Ob dieser Plan aufgegangen ist, erfahrt ihr, wenn ihr weiterlest.
Ein Auftrag in New York
Schon gewusst? In New York City gibt es keine Regenschirme. Und auch keine Regenmäntel. Ja, es kann dort sogar über eine Woche lang durchgehend regnen, doch die Bewohner der Stadt laufen trotzdem in ihrer normalen Arbeitskleidung (z.B. Arztkittel) durch die Gegend. Sicherheitsbeamte stehen Tag ein, Tag aus völlig durchnässt vor dubiosen Krankenhäusern, holen sich dabei eine kräftige Erkältung und wundern sich nicht einmal wirklich darüber. Willkommen in der Welt von 'Overclocked'.
Im November des Jahres 2007 wird der ehemalige Armee-Psychiater David McNamara zu einem ganz speziellen Auftrag bestellt: Innerhalb weniger Tage sind in New York City fünf erinnerungslose, völlig verwirrte Jugendliche aufgefunden worden. McNamara, der eine ganz spezielle Art der Hypnose, das so genannte "Reverse Memory", erfunden hat, soll Licht ins Dunkel bringen. Doch er selbst hat eigentlich genug private Probleme - seine Frau Kim will offensichtlich nichts mehr von ihm wissen, er leidet unter spontanen Gewaltausbrüchen und seine Gesellschaftsfähigkeit ist somit durchaus begrenzt.
Dennoch startet McNamara mit voller Motivation in seinen neuen Job, muss aber sogleich feststellen, dass nicht alle Beteiligten ihm sonderlich wohlgesonnt sind. Im langsam zerbröckelnden Staten Island Hospital, der temporären Unterkunft der fünf jungen Menschen, trifft McNamara gleich an der Türschwelle nämlich auf den zwielichtigen Dr. Young und dessen Assitentin Tamara. Und dass diese Beiden nicht das geringste Interesse haben, dass ein Außenstehender in ihren Hallen herumschleicht, merkt McNamara in jenem ersten Moment. Doch warum? Hat Dr. Young ein Problem damit, dass ihm ein jüngerer Kollege vor die Nase gesetzt wurde? Oder haben ihn all die Jahre in der Abgeschiedenheit Staten Islands schlichtweg langsam zermürbt?
McNamaras Misstrauen ist jedenfalls geweckt und deshalb macht er sich auf die Suche nach einer Antwort. Mit einem Pendel und einem PDA bewaffnet zieht er fortan tagsüber durch die fünf Zellen und versucht, nach und nach jeden Einzelnen der Patienten zum Reden zu bekommen. Wenn das nach kurzen Gesprächen schließlich geschafft wurde, wechselt 'Overclocked' den Spielcharakter und fortan steckt man für wenige Minuten nicht mehr in der Haut des Psychiaters, sondern in der eines seiner Patienten. Und sobald solch eine Sequenz zum ersten Mal abgeschlossen ist, kann mit den während jeden Gesprächs aufgezeichneten Tondokumenten der Versuch unternommen werden, einen anderen Jugendlichen zum Reden zu bringen. So entsteht dann nach einigen Tagen in dem Hospital ein immer konkreter werdendes Bild von dem, was den Jugendlichen zugestossen ist - und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Stück für Stück reist McNamara mit den Fünfen zurück bis zum Ausgangspunkt ihrer Geschichte.
Zwischen gut und böse
So weit zumindest die Theorie. Was anfangs noch spannend und innovativ ist, entwickelt sich im Verlaufe des Spiel zu einem ätzenden Jogging-Lauf von Zelle zu Zelle. Das ist insbesondere sehr anstrengend, da man sich als Spieler nach einiger Zeit fragen wird: "Welcher Patient könnte denn etwas zur Aufzeichnung A sagen? Und vor allem: Nehme ich Teil A1, Teil A2 oder Teil A3?" Wildes Herumprobieren steht somit in einigen Momenten ganz oben auf der Tagesordnung - und das ist schlecht. Dies fällt insbesondere schwer ins Gewicht, da die Hypnose-Sitzungen den Bärenanteil der Rätsel in 'Overclocked' stellen. Klassische Kombinations- oder Interaktionsrätsel sind Mangelware oder in den meisten Fällen schlichtweg so einfach, dass sie keine wirkliche Herausforderung darstellen. Das führt zwar einerseits dazu, dass selbst Anfänger relativ schnell Fortschritte machen dürften, andererseits sitzt der Spieler deshalb aber auch gefühlte 100 Male vor einer selbst ablaufenden Videosequenz und ist zum Zuschauen verdammt.
A propos Videosequenz: Es ist empfehlenswert, die Videos der Zwischensequenzen komplett zu installieren, auch wenn es laut Installationsmenü nicht unbedingt notwendig ist. Wer jedoch nicht unbedingt ein Freund von Ladezeiten ist, sollte auf diesen offenbar gut gemeinten Ratschlag verzichten und dem Spiel lieber ein bisschen mehr Platz auf der Festplatte einräumen.
Zwischen gut und schlecht
Zumindest aber sind die Videos allesamt ganz hübsch anzusehen. Der Begriff "hollywoodreif inszeniert" ist zwar grundsätzlich schon völlig ausgereizt und wird mittlerweile inflationär benutzt, doch kommt man bei der Beschreibung der Zwischensequenzen schwerlich drum herum. Dennoch muss auch hier mahnend erwähnt werden, dass ein bisschen mehr Schärfe durchaus angebracht gewesen wäre. Ansonsten ist die Grafik von 'Overclocked' durchgängig höchstens auf B-Movie-Qualität. Zwar sind die 2,5D-Hintergründe stellenweise recht stimmig gestaltet, aber gleichzeitig auch ziemlich leblos und detailarm. Desweiteren erscheint es auf Dauer einfallslos, tagelang durch ein stets (halb-)dunkles und ständig nasses New York zu stiefeln. Lob erhalten jedoch wie schon in 'The Moment of Silence' die eingebauten Kamera-Fahrten in der standardmäßigen Spielumgebung, die eine gewisse Dynamik erzeugen. Die Verwendung von Splitscreen-Einstellungen hingegen mag zwar eine nette Spielerei sein, ist aber eigentlich ein alter Hut (erinnert sich jemand an 'Baphomets Fluch'?) und hat in den wenigsten Fällen einen spielerischen Nutzen. Eher im Gegenteil: Es führt zu logischen Fehlern, die jedoch später in diesem Artikel noch besprochen werden.
Die goldene Himbeere im Grafikbereich geht jedoch eindeutig an die Animationen: Nicht nur, dass sie recht hölzern und ungenau sind - nein, stellenweise wird sogar komplett auf eine bestimmte Animation verzichtet. Das sieht dann beispielsweise so aus, dass McNamara sich in der eigentlich recht gemütlich gestalteten Nighthawkbar jeden Abend ein paar Gläser unsichtbaren Whiskey einschütten lässt. Unsichtbar? Genau - die Animation, dass der Whiskey aus der Flasche ins Glas fließt, ist nämlich einfach nicht vorhanden. Dass McNamara sich in der Folge in der Großaufnahme das Glas nicht mal direkt an den Mund führt, ist da nur noch der Gipfel der Amateurhaftigkeit.
Zwischen atmoshpärisch und störend
Zur Rettung der Atmosphäre eilt aber sogleich die Soundabteilung herbei. Und die macht ihren Job größtenteils nicht nur solide, sondern gut. Die Titel-Melodie brennt sich so zum Beispiel direkt in das Gedächtnis des Spielers ein und ist auch im weiteren Verlauf an spannenden Stellen sehr passend. Und wie von dtp/Anaconda gewohnt, weiß auch die Sprachausgabe fast durchgängig zu überzeugen. Auf der illustren Besetzungsliste stehen unter anderem Stephan Schwartz (Tom Cruise), Matt Norman (Guybrush Threepwood aus 'Monkey Island') oder Hans Bayer, dessen Stimme aus verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen bekannt ist. Gerade aber weil mit so vielen Profis gearbeitet wurde, ist es etwas schade, dass einige Sprecher doch sehr stereotypisch passend zu ihrem Charakter ausgewählt wurden (wie der Trinker Steve Ryker) und zahlreiche Sätze einfach falsch oder mit, für meinen Geschmack, zu wenig Emotion vorgetragen werden.
Richtig enttäuschend sind wiederum die Sound-Effekte. Pistolenschüsse klingen so in 'Overclocked' zum Beispiel wie Knallerbsen und das Klingeln eines Handys ist beinahe ähnlich angenehm wie jeder Werbe-Klingelton auf den einschlägigen Musik-Sendern. Ob das im Jahr 2007 noch sein muss, sei mal dahingestellt.
Hilfe, Logik!
Doch all die zuvor genannten Macken und Schnitzer sind nichts im Vergleich zu den inhaltlichen Fehlern des Soueks. Denn man mag ja durchaus geteilter Meinung darüber sein, wie logisch und glaubwürdig ein Adventure sein muss. Doch bei einem Spiel wie 'Overclocked', das grundsätzlich ein realistisches Setting besitzt, sollte schon darauf geachtet werden, dass der Bogen nicht überspannt wird. Die zu Anfangs genannte Regen-Problematik ist dafür nur ein Beispiel. Ansonsten sei die Frage erlaubt, ob es eine amerikanische Eigenart ist, immer von der gleichen Position aus zu telefonieren? Ferner es ist schon verwunderlich, dass es bei Davids Freund Terry offensichtlich durchgehend dunkel ist. Und seit wann passt ein ganzer Reisekoffer eigentlich in eine Hosentasche - also, jetzt mal außerhalb von Comic-Adventures und Co.?
An vielen Stellen scheint es einfach, als sei das Projekt 'Overclocked' House of Tales über den Kopf gewachsen. Sicherlich, gerade bei einem solch ambitionierten Spiel ist es leicht, sich hinterher als Kritiker hinzustellen und zu sagen: "Da waren die Augen wohl größer als der Appetit!" Und eigentlich liegt mir sowas auch rein aus subjektiven Sympathiegründen gegenüber den Entwicklern fern, doch ich stelle nüchtern fest:
'Overclocked' hält nicht das, was vor dem Release versprochen wurde. Was als spannende Krimi-Geschichte beginnt, steigert sich im Spielverlauf zu einer Art überdrehten Kritik an Gesellschaft und Regierung, wodurch ein Fass geöffnet wird, das offensichtlich einfach zu groß ist. Sehr gut zeigt sich das auch am schwachen Ende des Spiels und dessen Entstehung, die mit einigen logisch fragwürdigen Inhalten gespickt ist. Schade auch, dass bei einem grundsätzlich komplizierten Charakter wie David McNamara größtenteils nur an der Oberfläche gekratzt wird. Das ist umso schlimmer, wenn er zudem noch arg gekünstelt daherkommt und jegliche emotionale Bindung zum Spieler vermissen lässt. Seine Gewaltausbrüche und die Darstellung des drohenden Scheiterns seiner Ehe wirken jedenfalls reichlich deplatziert, wenn der wenige Sekunden vorher noch tief-zerrütette McNamara nach der Beendigung beispielsweise eines Telefongesprächs mit seiner Frau genau dort weitermacht, wo er aufgehört hat. Und wenn er dann auch noch am Abend völlig emotionslos in seinen PDA diktiert, dass sich die Situation mit Kim zusehends verschlechtert, weiß man als Spieler, dass irgendwo auf dem Weg etwas verloren gegangen ist.
Zwischen intuitiv und lobenswert
Die Steuerung in klassischen Point&Click-Adventures lässt sich in Kritiken meist in wenigen Sätzen abhandeln, und das ist auch in 'Overclocked' so. Durch einen Klick auf die linke Maustaste interagiert David McNamara mit seiner Umwelt, während das Drücken der rechten Maustaste erst einmal zur Betrachtung des gewählten Objekts führt. In den Dialogen mit anderen Charakten sind lediglich die grundsätzlichen Themen, aber nicht einzelne Antwortmöglichkeiten zur Auswahl bereit gestellt. Löblich ist die Funktion, dass McNamara durch einen Doppelklick der linken Maustaste zum Zielort sprintet, was einige Wege durchaus abkürzt. Noch ungeduldigere Spieler können außerdem mit der ESC-Taste Dialoge oder bestimmte Animationen (das Öffnen einer Tür, das Hinhocken vor den Patienten...) abbrechen.
'Overclocked' ist in einer DVD-Hülle, die nochmals von einer schick gestalteten Papp-Hülle mit Klappdeckel umgeben ist, erschienen. Das Spiel selbst befindet sich ebenfalls auf einer DVD und frisst in der Vollinstallation aus diesem Grund auch gut und gerne mehr als 5GB Festplattenspeicher. Die auf der Rückseite der Box angegebene Spielzeit von 20 Stunden scheint etwas übertrieben, da wohl die wenigsten Spieler mehr als 15 Stunden benötigen. Es ist eher noch anzunehmen, dass Profis schon nach gut zehn Stunden die Endsequenz betrachten können.
'Overclocked' hatte allein durch seine Grundidee das Potential, eines der spannendsten und besten Adventures der letzten Jahre zu werden - doch letztendlich geht das schief. Aber woran liegt das? An den technischen Mängeln? Nein, nicht so sehr. Schließlich war bisher kein House of Tales-Spiel perfekt durchprogrammiert. Liegt es aber vielleicht an der gehetzt wirkenden Auflösung der Story, die darüberhinaus in ihrer Einfachheit auch völlig enttäuscht? An der mangelnden Glaubwürdigkeit des eigentlich durch und durch geschundenen Hauptcharakters? Liegt es daran, dass die Rätsel diesen Namen eigentlich gar nicht verdienen und nur schmückendes Beiwerk sind?
All diese Fragen kann ich für meinen Teil jedenfalls mit "ja" beantworten. Es ist schlicht eine Schande, wie hier mit Talent sowie Potential geschludert wurde und somit das Spielvergnügen mit fortschreitender Spieldauer immer mehr zurückging. Am Ende ging es mir gar nicht mehr unbedingt darum herauszufinden, was mit den Jugendlichen passiert ist, sondern ich wollte einfach mit dem Spiel fertig sein. Besonders gefährlich ist das vor allem dann, wenn mir zusätzlich dazu das Schicksal des Protagonisten total egal ist. David McNamara soll undurchsichtig sein und polarisieren, klar, das gehört zur Grundidee des Spiels. Aber wenn undurchsichtig und unglaubwürdig so nah bei einander liegen, dann wird das zu einem Problem.
Doch natürlich ist nicht alles in 'Overclocked' schlecht: Die Szenen im Sanatorium beispielsweise sind zumeist sehr stimmungsvoll und sorgen für eine beklemmende Atmosphäre, die der düsteren Umgebung gerecht werden. Das sind dann zweifellos die stärksten Momente des Spiels, die jedoch aber gleichzeitig die schwächeren Momente (Davids (Ehe-)Probleme) noch schwächer erscheinen lassen. Auch die Grafik des Spiels mag vielleicht nicht auf dem höchsten technischen Standard sein, funktioniert aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten, ohne besonders unangenehm aufzufallen. Für ein Spiel, das sich aber anschickte das Genre zu revolutionieren, ist das zu wenig.
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Overclocked: Eine Geschichte über Gewalt
- Entwickler
- House of Tales
- Publisher
- dtp - digital tainment pool
- Release
- 12. Oktober 2007
- Spielzeit
- 15 Stunden
- Webseite
- http://www.overclocked-game.de/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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