Es ist die Zeit der Märchenadventures. Nach 'Ceville', das im Februar erschien, bescheren uns HMH und King Art mit 'The Book of Unwritten Tales' jetzt eine parodistische Antwort auf alles, was uns in Fantasywelten, Rollenspielen und Adventures oft begegnet. Die Technik machte schon in der Vorschau einen ausgereiften Eindruck, jetzt durften wir das komplette Spiel antesten. Wir haben das Buch der ungeschriebenen Sagen aufgeschlagen und verraten Euch, ob die Geschichte um den Gnom Wilbur und seine Freunde das erhoffte Spitzenspiel geworden ist oder ob das Buch besser geschlossen geblieben wäre.

Kapitel 1: Der Ring
Während seine ganze Familie eigentlich eher technisch begabt ist und die erstaunlichsten technischen Konstruktionen zusammensetzt wie es sich für Gnome gehört, hat Wilbur Wetterquarz ganz andere Ideen, was er mit seinem Leben anfangen will. Ein Held sein wäre ganz nach seiner Vorstellung. Oder ein Magier. Am Besten beides. Aber Gnome zaubern nicht. Genau so wenig, wie ihre Nachbarn, die Zwerge. Die trinken stattdessen viel Bier. Also macht Wilbur das Beste aus der Situation, arbeitet in einer Zwergenkneipe und geht dem Wirt dort zur Hand. Viel zu tun gibt es freilich nicht, denn der einzige (noch dazu ungebetene) Gast ist eine Ratte. Auch bei Wilbur zu Hause ist nicht viel mehr los: Nur sein Opa hält die Stellung. Alle anderen Bewohner des Weiskammgebirges sind in den Krieg gezogen, um die freie Welt vor der Armee der Schatten zu beschützen. In diesem schon Jahre andauernden Konflikt schafft es keine der Parteien, die Oberhand zu gewinnen. Natürlich wird auf beiden Seiten nach der ulitmativen siegbringenden Waffe gesucht. Wie es der Zufall will, findet in dieser schwierigen Situation der Gremlin-Archäologe McGruffin ein magisches Artefakt, das der Allianz den entscheidenden Vorteil bringen könnte. Doch auch die Armee der Schatten hat von dieser Entdeckung Wind bekommen und schickt sich nun ihrerseits an, in den Besitz des magischen Artefakts zu kommen. Von diesem Trubel ist Wilbur Wetterquarz weit entfernt. Oder besser: Er wäre weit entfernt, wenn nicht just dieser Archäologe gefangengenommen, per Lastflugdrachen über das Weißkammgebirge transportiert worden wäre und bei einem Fluchtversuch dem jungen Gnom direkt vor die Füße fällt. Gerade noch bevor der Flugdrachen sich den Archäologen erneut schnappt, bekommt Wilbur einen magischen Ring und einen Auftrag: Er muss zum Erzmagier der Menschen und ihm diesen einen Ring übergeben. Das Schicksal der Welt hängt nun also an einem Ring und einem kleinen Gnom. Wilbur fackelt auch nicht lange und begibt sich alsbald auf eine abenteuerliche Reise. Dass er nebenbei eine Ausbildung zum Diplom-Magier machen muss, mehr oder weniger stirbt und Schlussendlich dem Bösen in Person gegenübertreten muss, ahnt er noch nicht.
Unterdessen ist die Waldelfe Ivo dabei, im Haus eines inzwischen wohlbekannten Gremlin Archäologen weitere Nachforschungen über das Artefakt anzustellen. Schließlich war ihr Plan zur Rettung des gefangenen Gremlin nicht sonderlich erfolgreich. Das Buch ist bald gefunden und auch sie macht sich auf zur Stadt der Menschen, wo sie nicht nur auf Wilbur sondern auch auf den draufgängerischen Piraten Nate nebst seinem haarigen Begleiter, dem Vieh trifft. Die Vier tun sich zusammen und bereisen künftig als Team die Welt. Dabei erforschen sie versunkene Tempel, alte Grüften oder Orklager. Doch eine richtige Fantasywelt hält nicht nur die Orte, sondern auch jede Menge skurrile Charaktere bereit. Neben dem personifizierten Tod auch noch Zombies, Geister, selbstverliebte Paladine und und und.
Kapitel 2: Die Welt
Um die Welt von 'The Book of Unwritten Tales' auf den Rechner zu bringen, hat King Art auf die 'Ogre'-Engine gesetzt, die auch schon bei anderen Genre-Größen wie der 'Ankh'-Triligie oder 'Jack Keane' zum Einsatz kam und zuletzt in 'Ceville' zeigen durfte, was sie kann. Das die eben aufgezählten Spiele bei weitem nicht das volle Potential der Engine ausnutzen, zeigt 'The Book of Unwritten Tales' auf sehr eindrucksvolle Weise. Nicht nur, das die Grafiker von King Art einfach traumhaft schöne Hintergründe gestaltet haben - Die allerdings anders als z.B. bei 'Ankh' gerendert sind. Auch die Animationen der Figuren laufen rundum flüssig ab. Besonderen Wert hat man auf eine realistische Gesichtsmimik gelegt. Wo andere Adventures nicht einmal eine passende Lippensynchronität hinbekommen, bestaunen wir mit offenen Mund, wie Wilbur auf dem Monitor eben das macht: Er staunt, mit offenem Mund. Aber Wilbur und seine Kollegen können noch viel mehr: Entsetzen, Freude, Ekel und ähnliche Gemütslagen können wir dem kleinen Gnom deutlich ansehen, sogar eine Mischung der Mimik ist für King Art kein Problem. Dass die Figuren nebenbei noch einen absolut realistischen Schatten werfen, der sich der Umgebung immer korrekt anpasst, wird da schon fast zur Nebensache. Aber das ist noch immer nicht Alles. Wenn sich Ivo, Nate, Wilbur oder „Vieh“ mit Gegenständen interagieren, dürfen wir beobachten, was sie machen. Wilbur holt beispielsweise Bücher heraus, blättert darin herum und liest und dann daraus vor.
Mindestens genau so schön anzusehen sind die schon angesprochenen Hintergründe. Bereits in der Vorschauversion machten die mit sehr viel Liebe zum Detail gezeichneten Bilder einen hervorragenden Eindruck, es fehlten jedoch noch verschiedene Animationen. Man hatte uns zugesagt, dass da noch einiges kommen wird, und man hat nicht zu viel versprochen. Überall bewegt sich etwas, Blätter wiegen sich im Wind, Bienenschwärme fliegen herum, Wasser plätschert realistisch vor sich hin. Dazu kommen dann noch die vielen kleinen Details, in denen die Grafiker Anspielungen auf Filme, Spiele oder Bücher versteckt haben. Dass sich Gegenstände, Figuren und Hintergründe zu einem runden Gesamtbild zusammenfügen und nichts wie aufgeklebt wirkt, versteht sich natürlich ganz von selbst, genauso wie die Unterstützung aller gängigen Auflösungen, bei der auch Besitzer von Widescreenmonitoren nicht vergessen wurden.
Die schicke Grafik wird von einem Soundtrack unterstützt, der sich in das hervorragende Gesamtgefüge einpasst und so für eine Stimmung sorgt, die den Spieler von der ersten Minute an in das Spiel zieht und auch so schnell nicht mehr los lässt. Die klassischen, teils bekannten Themen sind zwar oftmals recht kurz, werden aber dennoch nie langweilig oder störend.
Noch wichtiger als die Musik sind für Adventures aber sicherlich die Gespräche. Mehr als 20 Stunden hervorragend vertonter Sätze erwarten den Spieler, nicht einer davon wirkt lustlos. Sicher sind einige der Sprecher schon von anderen Spielen bekannt, wer Wilbur im Spiel aber hört, wird bei der Stimme von Oliver Rohrbeck nicht mehr lange an Assil denken: Irgendwie passt die Stimme des 'Drei ???'-Chefs hervorragend zu dem kleinen, etwas rundlichen Gnom. Auch die übrigen Sprecher, zu denen unter anderem die deutschen Stimmen von Angelina Jolie, Daniel Craig, Gary Oldman oder George Clooney zählen, machen ihre Sache mehr als gut und treffen bei den witzigen aber nicht übertriebenen Dialogen stets die richtige Betonung. Jedoch werden sie alle von zwei Charakteren in den Schatten gestellt, die man eigentlich so gar nicht auf dem Zettel haben würde: Tschiep-Tschiep, den gefiederten Begleiter von Elfe Ivo und dem „Vieh“. Wenn die beiden sich miteinander unterhalten, versteht man definitiv nichts mehr. Dafür gab es wohl noch in keinem Spiel einen lustigeren Dialog als zwischen diesen beiden merkwürdigen Kreaturen.
Überhaupt wird Humor in 'The Book of Unwritten Tales' sehr groß geschrieben. Das Spiel zieht so ziemlich alles durch den Kakao, dass in der Fantasy-Welt groß und wichtig ist. Dabei macht es weder vor 'World of Warcraft' noch vor dem 'Herrn der Ringe' halt. Auch Anspielungen auf Filme bleiben nicht aus. Dafür sorgt nicht nur der Abenteurer Nate, der wie eine Mischung aus Han Solo und Indiana Jones wirkt. Wenn man viel parodiert, dann darf das eigene Spiel natürlich auch nicht fehlen. So gibt es beispielsweise einen Tod, der aber ganz untypisch in Häschenpantoffeln in seiner Behausung sitzt und schmollt - Schließlich sterben in Adventures keine Leute und er ist somit arbeitslos. Die Entwickler haben es aber auch verstanden, dass Humor nicht albern oder beleidigend sein muss, um zu überzeugen. Dass es dennoch nicht zu ernst wird, dafür sorgen die Figuren, die sich auch selbst nicht zu ernst nehmen, von selbst.
Kapitel 3: Die Aufgaben
Um es vorweg zu nehmen, 'The Book of Unwritten Tales' bietet ganz sicher nicht die schwersten Rätsel der Adventurewelt. Ein Spaziergang ist das Spiel trotzdem nicht: Gemessen an den jüngsten Genre-Vertretern liegt der Schwierigkeitsgrad im guten Durchschnitt. Positiv fällt auf, dass King Art es versteht in den Dialogen genügend Hinweise auf die Rätsellösung zu geben. So wissen wir immer genau, was wann zu machen ist. Für Abwechslung ist auch gesorgt: Klassische Kombinationsrätsel mit Inventargegenständen mischen sich mit Dialog- und Logikrätseln, man versucht sich sogar an einem (glücklicherweise) recht kurzen und einfach gehaltenen Minispiel. Auch Teamrätsel, in denen bis zu drei Akteure zusammenarbeiten müssen stehen auf dem Programm. In einem versunkenen Tempel sind Ivo, Wilbur und Nate beispielsweise auf unterschiedlichen Ebenen gefangen und müssen jetzt durch die eigenen begrenzten Möglichkeiten einen Weg finden, die Freunde zu befreien. In diesem Tempel kommen zusätzlich noch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Helden zum Vorschein: Während es für Wilbur dank seiner Größe möglich ist, selbst durch kleinste Luken zu schlüpfen, braucht er Nates Hilfe, um einen höhergelegenen Abschnitt zu erreichen: Er lässt sich von dem Freibeuter einfach hinaufheben. Auf solche und ähnliche Teamrätsel setzt 'The Book of Unwritten Tales' oft. Dann werden die spielbaren Charaktere als Piktogramm angezeigt und können per Mausklick getauscht werden. An einer Stelle gibt es sogar unterschiedliche Lösungswege, je nachdem, welcher Charakter die Aufgabe lösen soll. Fairerweise wird der Spieler vorher darauf hingewiesen, dass sich die Wege des Teams jetzt trennen und es zunächst nur für einen Protagonisten weiter geht.
Welche Aufgaben auch immer anstehen: es geht sehr komfortabel zu in der Fantasywelt. Bis auf eine Ausnahme wird zum Spielen nur die Maus benötigt und auch hier eigentlich nur die linke Maustaste, die dafür pro Gegenstand aber öfter gedrückt werden muss. Beim ersten Linksklick auf einen der vielen per optionaler Hotspotanzeige gefundenen Gegenstände bekommen wir eine ausführliche Beschreibung geliefert. Erst durch einen zweiten Klick wird der Gegenstand dann eingesteckt, geöffnet oder anderweitig genutzt. Was sich am Anfang Umständlich anhört, bringt aber den Vorteil, dass man immer genau weiß, wofür ein Gegenstand eigentlich gedacht ist, man verpasst keine Information. Wer dennoch mehr über den Gegenstand wissen möchte, darf auf die rechte Maustaste zurückgreifen, die eine genauere Untersuchung veranlasst. Gegenstände, die keine Funktion mehr im Spiel haben, werden nicht mehr als Hotspot angezeigt. Genauso wie Objekte, die mit dem aktuell gewählten Inventargegenstand nicht benutzt werden können. Vorteil für die Spieler: Wir bleiben von sinnfreien Aktionen genauso verschont, wie von „Das geht so nicht“-Standardsätzen. Die Steuerung der Charaktere ist genauso einfach gehalten: Auch hier genügt ein Klick mit der linken Maustaste, um die Protagonisten zu einem Punkt am Monitor zu schicken. Ein Doppelklick auf einen Ausgang bringt uns direkt zum nächsten Ort, auch eine Karte steht später zur Verfügung. Was fehlt ist eine Möglichkeit, die Helden rennen zu lassen. Da die meisten Screens aber nicht sonderlich groß sind oder alle Ausgänge direkt zu sehen sind, stört dieser Fakt nicht weiter.
Besonders angenehm überrascht die Tatsache, dass ein Spiel, mit dem man ohne Lösungshilfe gut und gerne bis zu 20 Stunden verbringen kann, nie langweilig wird. Keine der vielen Aufgaben hinterlässt den Eindruck, nur Zeit schinden zu wollen. Dafür ist auch die Geschichte einfach zu interessant und die Charaktere zu abwechslunsgreich.
Kapitel 4: Die Schatten
Ist 'The Book of Unwritten Tales' jetzt das absolut perfekte Adventure? Gibt es keinen kleinen Schönheitsmakel an dem Spiel? Doch, den gibt es. Selbst in der perfekten Grafik haben sich ganz selten und fast nicht bemerkbar Clippingfehler eingeschlichen. Man muss jedoch gezielt danach suchen, ansonsten übersieht man sie. Auch die Zwischensequenzen hätten etwas besser aufgelöst sein können, manchesmal neigen die Filme zu Pixelbildung. Und dann ist da noch das Ende. Die Geschichte ist zwar in sich geschlossen, dennoch bleiben einige Fragen offen. Welche das sind, können wir hier nicht verraten, ohne das Ende des Spiels zu spoilern. Unter dem Strich fällt aber auch dieses Manko bei einer für Adventures extrem langen Spielzeit, in der man stets hervorragend unterhalten wurde, nicht ins Gewicht.

King Art und HMH haben mit 'The Book of Unwritten Tales' ein Adventure geschaffen, dass seinesgleichen sucht und einer der Favoriten für das Spiel des Jahres ist. Die durchdachte und spannende Story, liebenswerte Charaktere, witzige Dialoge und eine wunderschöne Fantasywelt sind die Zutaten, die dieses Spiel einfach besser machen als die meisten aktuell erhältlichen Genrevertreter. Man merkt dem Spiel an, dass hier wahre Freunde von Adventurespielen am Werke waren. Jeder, der auch nur ein wenig Spaß an humorvollen, aber nicht albernen Adventures hat, darf bei 'The Book of Unwritten Tales' bedenkenlos zugreifen. Die wenigen Schwächen fallen bei dem Spiel wirklich nicht ins Gewicht, wohl selten hat ein Erstlingswerk so überzeugen können. Bei uns gibt es dafür einen absoluten Spitzenplatz. Wir hoffen auf viele weitere klassische Adventures aus der Bremer Entwicklerschmiede.
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Book of Unwritten Tales
- Entwickler
- KING Art
- Publisher
- HMH Interactive
- Release
- 2. April 2009
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Spielzeit
- 20 Stunden
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.kingart-games.de/bout/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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