Enki Bilals Comictrilogie „Alexander Nikopol“ erreichte einen solchen Bekanntheitsgrad, dass die Geschichte unlängst unter dem Titel „Immortal“ verfilmt wurde. Nun standen die Comics auch Pate für das neue Spiel des Publishers JoWood und der Entwicklerschmiede White Birds Productions. Auch Adventurefans können nun ganz in die Welt Alexander Nikopols eintauchen und sich per Egoperspektive in einem Paris, das man nicht wiedererkennt, umsehen. Die Entwickler schufen eine Welt ohne viel Freud, aber mit umso mehr Leid: Dort, wo früher der Garten des Élysée-Palastes stand, prangt im Spiel nun eine Ölraffinerie. Nikopols Bleibe ist eine baufällige Bruchbude, wo jeden Moment die Decke herunterkommen kann. Im Land herrscht reine Diktatur und eines Tages taucht am Himmel über Paris eine schwebende Pyramide auf. Ob Alexander Nikopol Junior, Sohn der gleichnamigen Comicfigur und Held des Spiels, ihr Geheimnis ergründen kann, verrät diese Review.

Wählen Sie Weißkohl, er ist ohnehin der einzige Kandidat
Zu Beginn des Spiels hat Nikopol andere Sorgen, als die Pyramide. Neue Wahlen stehen an. Der einzige Kandidat ist Diktator Weißkohl und wer den nicht wählt, hat gute Chancen, erschossen zu werden. Daher bemüht sich Alexander seit kurzem um Mitgliedschaft in einer Bruderschaft, die gegen den Diktator vorgehen will. Das Ganze ist gleich doppelt gefährlich, denn die Regierung hat eine ganze Reihe an Glaubensrichtungen und Überzeugungen verboten. Nikopol wundert sich daher nicht sonderlich über die Geheimniskrämerei, die sein Ansprechpartner Gorgon veranstaltet und hält ihn bestenfalls für verschroben, als dieser ein Portrait von Alexanders Vater beim nächsten Treffen sehen will. Was Alexander noch nicht weiß, ist, dass sein Vater ungefähr zeitgleich mit Pyramide aufgetaucht ist. Der seit 30 Jahren inhaftierte Nikopol Senior ist mit einer Raumkapsel über Paris abgestürzt und nun auf der Flucht. Den Vater zu finden ist das nächste Ziel des Sohnemanns. Dabei werden ihm immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt und Alexander muss so manches Mal die Flucht nach hinten antreten.
Nur nicht den Überblick verlieren …
Der Spieler genießt totale Rundumsicht. Blicke sind ohne Einschränkungen in jede beliebige Richtung möglich. Die Maussensitivität kann man im Optionsmenü regulieren, was empfehlenswert ist, falls ein Spieler die Bewegungen des Charakters nicht so gut verträgt. Das Spiel lässt sich komplett mit der Maus steuern. Mit einem Linksklick bewegt sich Alexander zur angewählten Stelle, mit einem Rechtsklick ruft man das kreisförmig angeordnete Inventar auf. Hier wählt man dann erneut mit einem Linksklick das gewünschte Objekt aus, wobei man keine Objekte im Inventar selbst kombinieren muss. Der Cursor passt sich den Gegebenheiten immer an und ändert entsprechend die Form. Ein kleines, rotes „X“ erscheint am unteren Rand des Cursors, wenn der Spieler nicht kombinierbare Gegenstände versucht, aufeinander anzuwenden und weist ihn so dezent auf die Nutzlosigkeit dieser Aktion hin. Vorbei sind die Tage, in denen man zum hundertsten Mal „So geht das nicht“ vernehmen musste. Manchmal tritt die Cursorverwandlung jedoch mit etwas Verzögerung ein, was gerade in Situation, die ein gutes Timing erfordern, für etwas ungewollte Hektik sorgt. Ebenfalls erwähnt werden sollte an dieser Stelle das Spielmenü, das auch in kompletter 360 Grad-Sicht programmiert wurde. Das Menü kann man durch mehrmaliges Drücken der ESC-Taste erreichen oder über einen Button im Inventar.
Paris, du kannst so hässlich sein
Paris kann man in all seiner gewollten Hässlichkeit mit 3 verschiedenen Auflösungen betrachten, 1440 x 900, 1024 x 786 und 1280 x 800, wobei man bei der ersten und letzten Einstellung mit schwarzen Balken am Rand des Bildschirms leben muss. Besonders hervorzuheben sind die hervorragenden Zwischensequenzen, die bewusst auf die Verwandtschaft zum Comic hinweisen: In mehreren kleinen, sich überlagernden Split-Screens, die sich wie eine Comicseite aufbauen, wird die Handlung vorangetrieben. Die Grafik ist gut gelungen. Selbst Objekte, die weiter weg erscheinen, z.B. wenn man durch ein Fenster sieht, sind beleuchtet oder bewegen sich. Eine Welt der Verwahrlosung und der Trostlosigkeit wird dem Spieler präsentiert, sodass zwar nicht gerade Ferienstimmung aufkommt, das Szenario aber dennoch eine gewisse Faszination ausübt. Die düstere Welt von White Birds passt gut zum Konzept. Einziges Makel: Paris ist in zwei wesentliche Stadtbezirke unterteilt. Im einen Leben die Reichen, im anderen der ganze Rest. Obwohl es Alexander bis zum Regierungsgebäude schafft, wirkt die Gegend dort fast genauso trist wie im Armenviertel. Es wäre schön gewesen, wenn man hier die Kluft zwischen reich und arm auch grafisch noch mehr hervorgehoben hätte.
Ein einsamer Wolf
Die Sprecher sind allesamt gut. Besonders mit der Hauptfigur ist eine passende Besetzung gelungen. Hervorragend ist auch der Sound. Vorbeifliegende Autos, Lautsprecherdurchsagen oder Automatengepiepe lassen die Welt lebendig erscheinen. Die Musik ist unaufdringlich und angenehm. Etwas enttäuschend ist jedoch, dass neben Nikopol selbst kaum Personen in Erscheinung treten. Die Dialoge sind auf ein Minimum beschränkt. Die meiste Zeit über führt die Hauptfigur Selbstgespräche. Es ist zwar verständlich, dass in einem solch dystopischen Paris die Menschen abends nicht in Scharen die Seine entlang schlendern, aber so menschenleer hätte die Stadt auch nicht sein zu brauchen.
Totgesagte leben nicht wirklich länger
Die meiste Spannung entsteht aufgrund des Zeitdrucks in bestimmten Situationen. Zu Beginn des Spiels darf sich Nikopol zum Beispiel nicht von der außerirdischen Riesenzecke erwischen lassen. Diese kann zwar nicht gut sehen, dafür aber gut riechen. In kurzer Zeit muss es dem Spieler gelingen, den Geruchssinn des Tieres zu täuschen und es dabei gleichzeitig einzusperren. Ist man zu langsam, segnet Nikopol das Zeitliche. Ein ähnliches Schicksal erwartet ihn recht häufig im Spiel, denn immer wieder befindet sich Nikopol auf der Flucht und muss achtgeben, nicht entdeckt zu werden. Ein Schritt durch eine falsche Tür oder zu langes Zögern, wenn man doch lieber hätte in Deckung gehen sollen, können schnell zum Verhängnis werden. Das Spiel legt jedoch immer einen automatischen
Spielstand vor einer solch brenzligen Situation an, sodass kein Frust aufkommt. Jedenfalls nicht hier. Einige Rätsel sind hingegen schlicht unsinnig. Ganz oben auf der Liste steht das Freilegen eines Mauerdurchgangs. An zwei Stellen im Spiel muss Nikopol mit einem Hammer zugemauerte Fenster zertrümmern, um durch die Öffnung entkommen zu können. Man sollte meinen, dass das kein großer Akt ist, nicht? Falsch. Denn die Steine müssen in einer ganz bestimmten Reihenfolge zerschlagen werden. Dafür hat Nikopol nur fünf Versuche. Gelingt es ihm in diesen fünf Zügen nicht, die Mauer zu zerschlagen, bauen sich bereits zertrümmerte Steine wieder auf und verschließen den Durchgang erneut. Dem entgegenzuhalten sind die Knobelrätsel, die recht nette Ansätze liefern. Zum Beispiel muss unser Held an einer Stelle ein Decodierungssystem installieren. Zeichnungen und Symbole müssen in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet werden. Als Hilfestellung erhält Nikopol ein Handbuch: „Das Füllhorn und der Kelch zeigen zueinander. Der Kelch befindet sich zwischen dem Gehängten und dem Baum. Das Glücksrad und der Baum befinden sich nebeneinander, aber nicht an derselben Wand ...“ usw. Da kommt Indiana-Jones-Feeling mitten in der Zukunft auf. Alles in allem variieren die Rätsel zwischen solide und schwer. Leider werden sie nach einiger Zeit eintönig, da sie sich zu wiederholen beginnen.
'Nikopol' ist ein Spiel, das ein gutes Konzept aufweist. Die Verbindung von Science-Fiction und alter Mystik ist sehr interessant. Das dystopische Frankreich, der Vater, der ein politscher Flüchtling ist, all das klingt vielversprechend und nach einer guten Geschichte. 'Nikopol' hätte unter Umständen sogar 'Blade Runner' Konkurrenz machen können, verschenkt diese Chance aber letztendlich. Besonders bitter ist hierbei, dass die Story am Ende (bewusst) keinen Sinn ergibt. Ein Adventure muss keinen positiven Verlauf nehmen. Es gibt genügend, die kein Happy End haben, die aber dennoch die Geschichte zum Abschluss bringen. Bei 'Nikopol' bleibt der Spieler jedoch verwirrt zurück. Was man beim Comic noch durchaus als künstlerische Freiheit ansehen kann, hinterlässt hier nur ein Gefühl der Enttäuschung. Auch sich wiederholende Rätsel und ein fast menschenleeres Paris tragen dazu bei, dass 'Nikopol' es nicht an die Spitze der Adventurespiele schafft. Besonders Science-Fiction- oder Comicfreunde werden hier auf ihre Kosten kommen. Schade nur, dass aufgrund der erwähnten Mängel vermutlich nicht noch mehr Spieler das Genre der Adventurespiele für sich entdecken werden.
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Nikopol: Die Rückkehr der Unsterblichen
- Entwickler
- White Birds Productions
- Publisher
- JoWooD
- Release
- 27. Februar 2009
- Webseite
- http://www.heilige-mission.de/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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