Schon so manchen Bösewicht hat der berühmte britische Detektiv fassen können, zuletzt den französischen Meisterdieb Arsène Lupin, wie Holmes ebenfalls eine Romanfigur. Im neuesten Fall greift Entwickler Frogwares eine Person auf, die das reale London des Jahres 1888 in Angst und Schrecken versetzt hat und die bis heute zu den bekanntesten Serienmördern überhaupt gehört: Jack the Ripper. Der wahre Fall um den brutalen Mörder wurde nie aufgeklärt, daher ranken sich viele Mythen um die Identität des Verbrechers. Dass Holmes einen Verdächtigen überführen kann, steht natürlich außer Frage. Spannender hingegen ist, ob die Mischung aus Fiktion und Realität funktioniert. Ob es geklappt hat, verraten wir in unserem Test zum wohl blutigsten Sherlock Holmes Adventure bisher.

London, im September 1888
Der berühmte Detektiv Sherlock Holmes und sein Kumpan Dr. John Watson verbringen einen Abend in der Bakerstreet 221b. Bei der Zeitungslektüre stolpert der Arzt über den Bericht vom Mord an einer Prostituierten, deren Leiche ausgeweidet vorgefunden wurde. Da dies bereits der dritte Mord eines einzelnen Täters innerhalb kurzer Zeit sein könnte, weckt der Fall das Interesse des Detektivs. Heutige Vertreter seiner Zunft würden sich jetzt vermutlich sofort an den Ort des Geschehens machen, um dort Spuren zu sichern. Nicht so jedoch der Meisterdetektiv. Er stattet erst einmal der Polizeistation im Stadtteil Whitechapel, in dem die Morde geschehen sind, einen Besuch ab. Ganz zufällig steht also Sherlock Holmes vor dem diensthabenden Polizisten und gibt vor, von den Morden noch nichts gehört zu haben. Schließlich möchte er von der Polizei um Hilfe gebeten werden, sich aber keinesfalls aufdrängen. So geschieht es auch, doch anders als Erhofft geht es für Holmes nicht auf die Mördersuche. Zuerst muss er dem Polizisten helfen, eine Tasche wiederzufinden, die dieser irgendwo im
Stadtteil vergessen hat. Wie es bei der britischen Polizei wohl Tradition ist, enthält diese Tasche vertrauliche und brisante Informationen und darf auf keinen Fall in die falschen Hände gelangen. So machen sich Holmes und Watson also erst einmal auf die Suche nach der Tasche, ehe es dann wirklich zum Tatort des Mordes geht, der natürlich aufs Gründlichste untersucht wird. Das Ergebnis: Die arme Polly Nichols wurde fast geköpft. Durch eine Nachstellung des Verbrechens steht auch schnell fest, wie der Mord selbst vonstatten gegangen ist und erste Rückschlüsse auf den Mörder und sein Motiv können gezogen werden. Einen Täter können die beiden aber noch nicht überführen. Während die Polizei einen gewissen „Lederschürze“ verdächtigt, schlägt der Ripper erneut zu. Wieder ist es eine Prostituierte, wieder wird sie brutal zugerichtet. Holmes lässt sich nicht so viel Zeit wie beim ersten Mord und untersucht die Leiche noch direkt am Tatort. Allmählich finden sich auch weitere Verdächtige und noch ehe der Ripper wieder loszieht, macht in London das Gerücht die Runde, dass es sich bei Jack the Ripper eigentlich nur um einen Juden handeln kann, was zu einem Generalverdacht gegen alle Juden der Metropole führt. Für Holmes und Watson steht fest: Der Ripper muss gestoppt werden, bevor es noch schlimmer wird. Doch noch mehr Prostituierte fallen dem Ripper zum Opfer, dessen Taten immer brutaler werden, ehe Holmes ihm das Handwerk legen kann.
Blutig, wie das Messer des Rippers
Die Geschichte von Jack the Ripper ist schon aufgrund der grausamen Morde und der Verstümmelungen, die er seinen Opfern zufügte, nicht unbedingt etwas für kleine Kinder. Genauso ist es mit 'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper'. Uns bleibt zwar der Anblick der entstellten Frauen erspart. Die Morde werden in unzähligen Autopsieberichten, Zeitungsartikeln und Zeugenaussagen aber bis ins Kleinste beschrieben, was für die Ermittlungen natürlich sehr wichtig ist. Überhaupt bleibt Frogwares mit dem Spiel sehr nahe an der wahren Geschichte des Rippers, oder zumindest an dem, was man heute dafür hält. Die ihm zugerechneten Opfer Mary An „Polly“ Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catharine Eddowes und Mary Jane Kelly kommen auch im Spiel auf die Art und Weise ums Leben, wie in den Übermittlungen aus der damaligen Zeit. Mit Dr. Fancis Tumblety präsentiert uns das Spiel sogar
einen der „original“ Verdächtigen. Da der Fall offiziell aber nie aufgeklärt wurde, nimmt man sich aber die Freiheit, die Liste der Verdächtigen um vier weitere Charaktere zu ergänzen, auf die wir in 'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper' ebenfalls treffen. Welcher der fünf es dann schließlich war, verraten wir hier natürlich nicht. Nur so viel: Bis alle Beweise gesammelt und ausgewertet sind, können schon deutlich mehr als 12 Stunden vergehen. Das liegt nicht etwa an irgendwelchen umständlichen Tatortermittlungen, sondern vielmehr an dem umfangreichen Lesestoff, den uns das Spiel in Form der schon angesprochenen Berichte präsentiert. Um ohne Lösung auf die Spur des Rippers zu kommen, genügt es nicht, die Berichte einmal zu lesen. Nach jedem Fall fragt uns Holmes, wie sich der Mord zugetragen hat und welche neuen Schlüsse wir aus den Beweisen ziehen können. Um die Beweisketten richtig zu legen, muss immer wieder ein Blick in die Akten geworfen werden, in denen sich auch alle geführten Gespräche finden lassen.
Ein weiterer Grund für die lange Spielzeit ist die große Zahl von Geschicklichkeitsübungen und Minispielen, die Frogwares eingebaut hat. Die oben angesprochene Taschensuche für die Polizei mag vorerst dazu dienen, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen, fragt man sich doch spätestens beim Abliefern der Tasche, warum der Meisterdetektiv (und somit der Spieler) das Taschenschloss für den Polizisten knacken soll – und warum man überhaupt solch einen komplizierten Mechanismus an einer Tasche befestigt. Neben Schlossrätseln in allen erdenklichen Varianten – vom Dietrich bis zu einer Art Dominospiel an einer Safetür – warten auf den Spieler noch verschiedene Zahlenrätsel, eine seltsame Verkabelungsaktion, bei der Kabel nur diagonal, vertikal oder horizontal gelegt werden dürfen sowie ein Schieberätsel bei dem im Holzfußboden einer Kneipe ein Medaillon zwischen Flachmännern, Kämmen und Löffeln geborgen werden muss – um nur einige zu nennen. Den Höhepunkt bildet jedoch ein Rätsel, mit dem man einen Schrankkoffer öffnen muss. Wer hier einige Daten des amerikanischen Bürgerkriegs nicht auswendig kennt probiert ewig herum, bemüht Wikipedia oder schaut in eine Lösung. Im Spiel selbst hätte man den Detektiv sicher in der Buchhandlung seines Vertrauens nach einem solchen Buch fragen lassen können, wenn er denn dorthin hätte gehen können. Doch dieser zuvor schon besuchte Ort ist in dem Moment Tabu – ein solches Buch findet sich aber natürlich auch nicht im Spiel. Die Rätsel, die zur Ergreifung des Mörders führen, sind im Gegensatz dazu aber sehr logisch aufgebaut und immer nachvollziehbar. So werden beispielsweise diverse Zeugenaussagen direkt am Tatort überprüft oder anhand von Anziehpuppen miteinander abgeglichen. Stellenweise müssen auch Inventargegenstände kombiniert werden, beispielsweise, wenn Holmes aus Brettern, Stangen und Nägeln eine Leiter baut.
Gehe in die Bakerstreet, begib dich direkt dorthin…
Holmes oder Watson, die zeitweise auch einzeln gesteuert werden, teilen dem Spieler mit, wohin er wann zu gehen hat. Durch die vorangegangenen Gespräche wissen wir auch meist, was wir dort zu erledigen haben. Anfangs handelt es sich dabei mehr um Nebenquests, wie das Auffinden der erwähnten Tasche oder das Untersuchen diverser Parfümproben. Diese Aufgaben haben mit dem Ripper selbst nichts zu tun, dienen aber dazu, das Vertrauen der anderen Bewohner Londons zu gewinnen. Zum Ende des Spiels wechselt die Aufgabenstellung aber immer mehr dazu über, die Tatorte zu untersuchen und dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Dadurch wird das Spiel auch viel spannender und fesselt an den Monitor. Dennoch bleibt das Geschehen streng linear. Selbst wenn Holmes und Watson getrennt voneinander ermitteln, kann man nicht hin- und herschalten, weil man bei einem Charakter vielleicht gerade nicht weiterkommt. Es gilt zuerst immer alle Aufgaben mit einem Charakter an einem Ort zu erledigen, ehe dann automatisch oder per Karte zum nächsten Ort oder Charakter gewechselt wird.
Ego oder nicht Ego, das ist hier die Frage
'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper' bietet dem Spieler die freie Wahl zwsichen einer Ego-Perspektive und der Thrirdperson-Ansicht, die jederzeit gewechselt werden kann. In beiden Varianten geht die Steuerung gut von der Hand, stellenweise schaltet das Spiel selbst zwischen den Perspektiven um. So erleben wir beispielsweise die Untersuchungen der Tatorte aus der Ego-Perspektive und nehmen Lupe oder Maßband selbst in die Hand. Das Ermittlerduo wird abhängig von der gewählten Perspektive per Tastatur über die bekannt-bewährte WASD-Steuerung oder per Mausklick durch London gesteuert, gerannt wird entweder per Doppelklick oder per Druck auf die Shift-Taste. Welche Sicht man wählt, ist dann nur noch reine Geschmackssache. Weiterhin bietet das Spiel natürlich eine Funktion zum Anzeigen der Hotspots. Das Inventar, in dem sich nie wirklich viele Gegenstände sammeln, kann per rechter Maustaste geöffnet werden. Hier finden sich auch alle Dokumente, Indizienketten, eine Karte sowie Watsons Aufzeichnungen der Dialoge.
Trostloses Viertel
Das Whitechapel 1888 nicht zu den besseren Wohnvierteln Londons gehörte, wird spätestens beim Betrachten der Grafik klar. Egal, ob Holmes am Tage oder bei Nacht durch die Gassen streicht: Das Viertel bietet ein ewiges Grau in Grau. Sicher mag es damals dort wirklich so ausgesehen haben und das Spiel schafft es dadurch auch, für etwas schaurige Atmosphäre zu sorgen. So ist es direkt eine Wohltat, in andere, hellere Gegenden, wie den Buchladen oder die Bakerstreet zu kommen. Übrigens bietet das Spiel alle gängigen Auflösungen bis 1680 x 1050 an. Dennoch wirkt die Grafik etwas altbacken, was nicht zuletzt an den etwas hölzern daherkommenden Charakteren liegt, denen man überall in den Straßen begegnet. Trotzdem erscheinen Londons Straßen und Gaststätten etwas leer. Daran vermag auch der Soundtrack nichts zu ändern, der sich dann und wann dezent im Hintergrund hält und eigentlich nicht weiter auffällt. Ganz anders sieht es bei der Vertonung aus. Koch Media, der für die deutsche Umsetzung verantwortliche Publisher, hat für gute Sprecher gesorgt, die die Geschichte um den Meisterdetektiv und den Serienmörder mit Leben füllen. Die teils langen Dialoge wurden stets passend betont und verraten genügend Hinweise, um im Fall voranzukommen. Einziger Kritikpunkt an den Dialogen: Rätsel gibt es hier nicht. Die Multiple-Choice-Auswahl dient lediglich dazu, die Themen nach und nach abzuarbeiten oder erneut anzuhören, ehe der Punkt „Verabschiedung“ erscheint.
Mit 'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper' gelingt Frogwares eindeutig ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Geschichte um den Serienmörder bietet genügend Spielraum für eine eigene und sehr gelungene Auflösung. Zugegeben: Das Spiel überzeugt gerade zu Beginn nicht mit spannenden Aufgaben und einige der Minispiele und Logikrätsel wirken sehr aufgesetzt. Das ändert aber nichts daran, dass Koch Media und Frogwares einen unter dem Strich spannenden und interessanten Krimi abliefern, in dem es Spaß macht, die Ermittlungen zusammen mit Holmes und Watson aufzunehmen. Die Hatz nach dem Frauenmörder gehört somit zu den besten Spielen um den britischen Detektiv der letzten Jahre. Wer sich mit der Grafik und den Logikrätseln anfreunden kann und sich von brutalen Verbrechen nicht abschrecken lässt, sollte einen Blick riskieren.
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Sherlock Holmes 5: Sherlock Holmes jagt Jack The Ripper
- Entwickler
- Frogwares
- Publisher
- KOCH Media
- Release
- 14. August 2009
- Webseite
- www.sherlockholmes-spiel.de
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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