Bei den Namen Wadjet Eye und Dave Gilbert werden viele Adventurespieler ohne Umwege direkt an 'The Shiva' oder die 'Blackwell'-Reihe denken. Kein Wunder, hat sich doch vor allem um letztere inzwischen eine treue und immer weiter anwachsende Fangemeinde gebildet. Was diese Spiele etwas von der Masse abhebt, ist vordergründig nicht nur die ziemlich altbackene Grafik, sondern auch das mitunter recht ungewöhnliche Charakter-Gespann Rosangela und Joey. Ein Ende der Reihe ist bislang glücklicherweise noch nicht abzusehen, sodass die beiden nun in 'Blackwell Deception' abermals eine knifflige Aufgabe zu lösen haben. Wir haben sie dabei begleitet und werfen einen Blick darauf, ob es Dave Gilbert gelungen ist, erneut ein qualitativ hochwertiges Abenteuer abzuliefern.

Ein Leben nach dem Tod
Gerade noch einen Auftrag zu Ende gebracht, klingelt erneut das Telefon von Rosangela Blackwell. Am anderen Ende der Leitung ist Jeremy Sams, ein ehemaliger Bekannter, mit dem sie vor Jahren beim kleinen Zeitungsblatt "Village Eye" zusammengearbeitet hat. Jetzt steht er allerdings vor einem Problem mit einem seiner aktuellen Artikel für seinen neuen Arbeitgeber und bittet Rosangela um ihre Mithilfe. Die Grippe hat ihn wohl schwer erwischt, was ihn davon abhält einigen Spuren nachzugehen, obwohl ihm langsam die Zeit dazu wegläuft. Und für ihre Mühen soll sie schließlich auch entlohnt werden. Sowieso gerade knapp bei Kasse, wird ein kurzes Gespräch über die Hintergründe des Artikels in Jeremys Wohnung sicher nicht schaden, auch wenn Rosangela ihre Reporterzeit mittlerweile hinter sich gelassen hat. Inzwischen verdient sie ihren Lebensunterhalt nämlich als spirituelles Medium, und zwar keines von der betrügerischen Sorte, die ihren Kunden nur das Geld auf hinterlistige Weise aus den Taschen ziehen möchten. Als eine der wenigen Personen besitzt sie nämlich tatsächlich die besondere Gabe, mit kürzlich Verstorbenen in Kontakt treten zu können. Der "lebende" Beweis dazu ist ihr Begleiter Joey Mallone, ein Geist aus den 30er Jahren, der ihr bei den täglichen Aufgaben zur Seite steht. Gemeinsam helfen sie anderen Verblichenen, die ihr Ableben bislang nicht so richtig wahrhaben wollen, auf ihrem Weg ins Jenseits. Dass Rosangela und Joey dann aber sogar über die eigentlich harmlos erscheinende Begegnung mit Jeremy in eine Verkettung von spirituellen Ereignissen stolpern, kommt selbst für sie unerwartet.
Durchaus geistreich
Doch halt. Bevor man sich nun Hals über Kopf in die Ermittlungen stürzt, widmet sich das Spiel zunächst den notwendigsten Grundlagen. Losgelöst von der eigentlichen Story werden Rosangela und Joey noch vor den Ereignissen um Jeremy für einen ganz anderen Fall angeheuert. Erst vor wenigen Wochen wurde bei einer Polizeiauktion eine Yacht versteigert, die sich nun des Nachts ohne erkennbaren Grund selbstständig in Bewegung setzt. Der neue Eigentümer ist davon überhaupt nicht angetan, muss er doch am Folgetag jedes Mal aufs Neue dafür zu sorgen, dass das Luxusschiff wieder sicher in den Hafen gezogen wird. Mit seiner Weisheit am Ende, ist er selbst dem abwegigen Gedanken, an Bord könnte etwas Spirituelles vor sich gehen, nicht mehr vollends abgeneigt. Genau das Richtige also für Rosangela und Joey, die sich natürlich gleich an ihre Untersuchungen machen. Dieses kurze Intro-Kapitel bietet vor allem Einsteigern in die 'Blackwell'-Reihe einen ersten Einblick in die Tätigkeit des ungleichen Paares sowie in die Spielmechanik, welche sich auch in 'Blackwell Deception' doch ein kleinwenig von den Genre-Kollegen unterscheidet. Als Geist kann Joey etwa nicht nur feste Materie wie beispielsweise verschlossene Türen problemlos überwinden, er kann außerdem auch nur von einem Medium wie Rosangela oder anderen Geistern gesehen und gehört werden. Neben einigen Vorteilen, die dieser Umstand so bietet, macht es ihm seine körperlose Gestalt aber auch nicht immer ganz leicht. Die für jedermann eigentlich selbstverständlich klingende Fähigkeit, mit der Umgebung interagieren zu können, gehört als durchlässiges Überbleibsel seines Daseins leider der Vergangenheit an. Stattdessen ist ihm als letzte verbliebene Möglichkeit lediglich der eigene Atem geblieben, mit dem er Gegenstände und Personen zumindest noch geringfügig zu beeinflussen oder irritieren vermag. Doch glücklicherweise ist Joey ja nicht ganz auf sich alleine gestellt, sondern hat stets seine bessere Hälfte Rosangela an seiner Seite, an die er in seiner jetzigen Form gebunden ist - was allerdings auch wiederum seinen Bewegungsradius merklich einschränkt. Als Geist hat man es aber auch wirklich nicht leicht.
Die neue Mobilität
Für den Spieler allerdings öffnet Joeys derzeitige Lage Tür und Tor für ein verhältnismäßig abwechslungsreiches Rätseldesign. Zwar fehlen auch die eher gewöhnlichen Aufgaben nicht, in denen gesammelte Objekte über das Inventar an der richtigen Stelle eingesetzt werden müssen, der Schwerpunkt liegt aber verstärkt auf der wirksamen Zusammenarbeit der beiden spielbaren Charaktere und deren unterschiedlichen Fähigkeiten. Während Rosangelas Handlungsspielraum beispielsweise gerne einmal durch eine verschlossene Tür oder einen zu aufmerksamen Nebencharakter eingeschränkt wird, stellt dies für Joey keine große Hürde dar und versetzt ihn in solchen Situationen in die verantwortliche Position, nach erforderlichen Informationen Ausschau zu halten. Dabei lohnt es sich durchaus, die Umgebung immer genauestens zu untersuchen, denn oftmals sind es unscheinbare und versteckte Hinweise in Dokumenten oder Aushängen, die unmittelbar oder erst im späteren Verlauf der Handlung noch einmal für das Vorankommen wichtig werden könnten. Eine unterstützende Hotspot-Anzeige existiert im Hinblick hierauf zwar nicht, diese wird bei der geringen Anzahl an klickbaren Objekten allerdings auch nicht wirklich benötigt.
Die wichtigsten Beobachtungen wandern daraufhin automatisch in Rosangelas neuestes Spielzeug. Im Gegensatz zu den Vorgängerteilen geht sie nämlich inzwischen etwas mehr mit der Zeit und hat sich mit einem äußerst praktischen MyPhone ausgestattet. Darüber können nicht nur Hinweise miteinander kombiniert werden, um aus einzelnen Informationen einen Zusammenhang herzustellen und somit in den Ermittlungen einen Schritt weiter zu kommen, sondern die ebenfalls verfügbare mobile Internetrecherche liefert unter Umständen ganz neue Erkenntnisse sowie wichtige Adressen und Telefonnummern. Das Verbinden dieser einzelnen Puzzlestücke geht dabei Arm in Arm mit dem Fortschritt in der Handlung und vermittelt so das Gefühl, dass die eigenen Ermittlungserfolge eine spürbare Auswirkung auf das Vorankommen haben. Als Wechselwirkung muss man sich aber auch mit einer recht starken Linearität in der Reihenfolge der Aufgaben zufrieden geben, mit der Konsequenz, dass man durchaus an einer Stelle etwas länger feststecken könnte, wenn des Rätsels Lösung nicht direkt gefunden wird. Der Schwierigkeitsgrad ist diesbezüglich allerdings nicht allzu hoch angesetzt, und spätestens ein klein wenig "um die Ecke"-Denken führt in der Regel doch relativ bald zum erhofften Erfolg. Um die Spieler in solchen Situation dennoch nicht ganz alleine dastehen zu lassen, existiert zumindest eine dezent und sinnvoll in die Umgebung integrierte Hilfefunktion. Weiß man einmal absolut nicht weiter, so bietet ein ruhiges Fleckchen jederzeit die Gelegenheit, den jeweils anderen Hauptcharakter einmal anzusprechen und um Rat für den nächsten Schritt zu fragen. Der Vorschlag fällt zwar meistens ziemlich knapp und vage aus, kann aber durchaus den entscheidenden Denkanstoß liefern.
Mit Witz und Charme
Hinsichtlich der Grafik orientiert sich Wadjet Eye Games an ihren bisherigen Veröffentlichungen, weshalb 'Blackwell Deception' ebenfalls wieder an den vertrauten Retro-Look aus den Adventures früherer Zeiten erinnert. Dieses Markenzeichen der Reihe steht zum einen für schnörkellose 2D-Hintergründe und Charaktere in Pixel-Optik, andererseits aber auch für einen bewusst gering ausfallenden Detailgrad und eine doch sehr überschaubare Auflösung. Das einzige Stilelement, das sich von dieser charakteristischen Grundausrichtung ein wenig abhebt, sind die comicartigen Miniaturansichten der Charaktere, welche innerhalb von Dialogen eingeblendet werden. Diese liefern nicht nur einen Einblick in die ständig wechselnden Gemütslagen der Gesprächspartner, sondern sorgen zudem auch für ein wenig Auflockerung in den sonst überwiegend starr verharrenden und überschaubar kleinen Bildschirmausschnitten. Weitaus weniger minimalistisch gibt sich dagegen die nahezu perfekt passende Begleitmusik, die ein wenig an einstige Detektiv-Serien aus Film und Fernsehen erinnert und vorzugsweise Saxophon und Klavier stimmungsvoll im Hintergrund erklingen lässt. Jeweils passend zur aktuellen Umgebung verschmilzt dabei der Sound mit dem nächtlichen Setting erstaunlich gut zu einem atmosphärischen Mix aus Ermittlungsgeschichte und spirituellem Geisterdrama. Für den letzten Schliff sorgt dann die äußerst angenehme englischsprachige Synchronisation, die trotz gelegentlicher Mehrfachbesetzung der Sprecher kaum Anlass für Kritik liefert.
Diejenigen, die bereits die Vorgängerteile gespielt haben, dürfen sich zudem auf einige kleine Referenzen und gar ein Wiedersehen mit einem bekannten Charakter freuen. Aber auch Neueinsteiger müssen nicht befürchten, im Laufe der Handlung ständig mit dem Gefühl konfrontiert zu werden, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Auch ohne Vorwissen wird man bestens mit einer verständlichen und spannenden Story unterhalten, die sich kontinuierlich entwickelt und dabei selbst mit einer wohldosierten Prise Humor nicht geizt. Die teils bissigen Kommentare von Joey und Rosangela fügen sich nahtlos in das ungewöhnliche Beziehungskonstrukt der beiden ein und wirken dadurch auch keineswegs zu aufdringlich. Deshalb ist es fast schon bedauerlich, dass der Abspann leider nicht allzu lange auf sich warten lässt. Vor allem die Präsentation des Gegenspielers gegen Ende hätte durchaus auch ein wenig ausgedehnter ausfallen können, was aber den Gesamteindruck kaum schmälert. Und wer nach den rund 5-6 Stunden Spielzeit noch immer nicht genug hat, kann sich vielleicht für einen zweiten Durchgang begeistern, um die Wartezeit bis zum Nachfolger zu überbrücken. Zwar bietet ein erneutes Durchspielen keinen spielerischen Mehrwert, die zuschaltbaren Entwicklerkommentare von Dave Gilbert sowie bestimmte Outtakes der Synchronsprecher lohnen sich aber dennoch.
Wadjet Eye Games wirft einmal mehr die Frage auf, ob derartige Pixel-Kunst trotz der inzwischen zahlreichen auf Hochglanz polierten Adventures auch in diesem Jahrtausend noch funktionieren kann. 'Blackwell Deception' beantwortet diese Frage jedenfalls recht selbstbewusst mit einem Ja. Rosangela und Joey sind nicht nur ein wahnsinnig sympathisches Gespann, sie liefern mit ihrer ungewöhnlichen Beziehung auch genügend Spielraum für ein überaus interessantes Rätseldesign. Dass es Serienschöpfer Dave Gilbert dabei dann noch gelingt, gleichermaßen logisch zu bleiben und eine spannende Geschichte zu erzählen, rundet das Gesamtwerk sehr schön ab. Lediglich der nicht besonders hoch angesetzte Schwierigkeitsgrad und die durchschnittliche Spielzeit lassen für die Nachfolger noch ein wenig Luft nach oben. Wer sich aber nicht an der Grafik stört, der sieht sein Geld in 'Blackwell Deception' sehr gut investiert. Allen anderen sei zumindest einmal der Griff zur kostenlosen Anspielversion ans Herz gelegt.
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Blackwell 4: Deception
- Entwickler
- Wadjet Eye Games
- Publisher
- Wadjet Eye Games
- Release
- 12. Oktober 2011
- Spielzeit
- 6 Stunden
- Webseite
- http://www.wadjeteyegames.com/games/blackwell-deception/
- Art
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Independent
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