Bislang ist das deutsche Entwicklerstudio Twice Effect in der Computerspiel-Branche noch nicht groß in Erscheinung getreten. Doch das soll sich nun mit dem Episoden-Adventure 'The Second Guest' endlich ändern. Die gesetzten Ziele sind dabei keinesfalls niedrig. So möchte man eine "dichte Spielatmosphäre, gutes Storytelling und anspruchsvolle Rätsel" liefern, also vieles von dem, was ein gutes Adventure überhaupt erst auszeichnet. Headup Games hat sich als Publisher der Aufgabe angenommen und veröffentlicht das recht spezielle Grusel-Abenteuer gar im Einzelhandel. Enthalten sind dabei die ersten beiden Episoden, auf die bei ausreichendem Erfolg noch weitere Ableger folgen sollen. Ob der Grundstein für Erfolg jedoch auch durch Qualität gelegt wurde, verraten wir Euch in unserem Test.

Unverhofft kommt oft
Mit einem solchen Brief hat Jack Ice, seines Zeichens junger Student aus London, sicherlich nicht gerechnet. Aus einem kleinen Ort nahe Cornwalls erreicht ihn ein Schreiben des Anwalts Dr. Pendergast, der ihn darüber informiert, dass Jack im Testament des schwerreichen aber leider kürzlich verstorbenen Lord Averton großzügig bedacht wurde. Das Kuriose dabei ist, dass Jack besagten Lord Averton nie zuvor getroffen, geschweige denn jemals von ihm gehört hat. Von der Neugierde gepackt macht er sich mit dem nächsten Zug auf den Weg in Richtung Grace Castle auf Averton Island, um dort an der angesetzten Testamentseröffnung teilzunehmen. Nichtsahnend darüber, was ihn dort erwarten wird. Nicht nur zeigt sich manch einer von Lord Avertons Angehörigen über die Erbschaft von Jack nur wenig begeistert, auch sorgen mysteriöse Todesfälle schnell für Aufsehen rund um das Schloss. Und auch Jack weiß bald nicht mehr, ob er sich seines eigenen Lebens noch sicher sein kann. Was geht auf Averton Island vor sich und was für eine Absicht steckt überhaupt hinter dem unerwarteten Erbe?
Licht und Finsternis erzeugen Schatten
Auf der Insel angekommen, sticht vor allem direkt der markante Grafikstil ins Auge, der, vollkommen in 2D-Optik gehalten, fast ausschließlich mit den dunklen Grundtönen Schwarz und Grau auskommt. Lediglich in Innenbereichen von Grace Castle sowie über gelegentliche Akzente in der Außenlandschaft werden sorgsam gewählt Reizpunkte zu den hauptsächlich minimalistischen aber stimmungsvollen Umgebungsgrafiken gesetzt. Ebenfalls auffällig zeigt sich die Verwendung von überwiegend abstrakten Mustern in 'The Second Guest', wodurch Wände teilweise schief, Türen geknickt und auch viele sonstige Objekte perspektivisch verzerrt dargestellt werden.
Nach ähnlicher Vorschrift zeigen sich die Charaktere unterschiedlicher wie sie kaum sein könnten. Jack wirkt in seinem schwarzen Anzug immer etwas bleich um die Nase, Butler Willkins Buckel ragt beinahe bis über seinen Kopf hinaus und Bootsmann Bubbles ist der typische Seebär mit Augenklappe und Dialekt. Generell werden alle Charaktere stark klischeebehaftet und teilweise überzeichnet dargestellt, was aber doch irgendwo zur recht skurrilen Welt des Titels passt. Doch über ihre Gestaltung hinaus bekamen sie im Gegenzug allerdings dafür nur äußerst spärliche Animationen spendiert. Nicht nur sind die Bewegungen holprig und über nur wenige Bilder animiert, auch wiederholen sich diese ständig - und besonders auffällig in Dialogen - wie in einer Endlosschleife. Findet hingegen eine Interaktion mit der Umgebung statt, etwa um eine Tür zu benutzen oder ein Objekt einzusammeln, so wird teilweise gänzlich auf Animationen verzichtet. Ersatzweise verschwindet Jack bei einem Szenenwechsel einfach, um dann im nächsten Abschnitt wieder aufzutauchen. Objekte wiederum werden schlicht aus der Umgebung entfernt und wandern ohne einen weiteren Hinweise einfach so in die Tasche. Hier hätte man sich etwas mehr Liebe zum Detail wünschen können, mit der individuelle Animationen für bestimmte Aktionen sicherlich auch stärker zur Atmosphäre hätten beitragen können.
Sprachgewaltig
Diese Atmosphäre wird hingegen zusätzlich durch zahlreiche bekannte und talentierte Sprecher unterstützt. Und die bekannten Namen versprechen nicht nur vollmundig eine hervorragende Vertonung, sie liefern sie auch. So darf man sich unter anderem über die Stimme von David Nathan freuen, der vielen aus zahlreichen Film- und Spiele-Produktionen (u.a. Johnny Depp) bekannt sein dürfte und der Hauptperson Jack Ice gekonnt sprachliches Leben einhaucht. Das Sprecherensemble zeigt sich durchgängig auf hohem Niveau und ausdrucksstark, was aber dennoch nicht über die oft nur belanglosen Dialoge hinwegtäuscht, die somit auch nur einen recht überschaubaren Beitrag zur Spannung der Handlung beitragen.
Bei der musikalischen Unterstützung setzt 'The Second Guest' zusätzlich auf weitestgehend klassische Musik durch Klavierbegleitung oder Streichinstrumente, die stets passend zum 20er-Jahre-Setting des Spiels ausfällt. Trotz gelegentlicher Monotonie unterstreichen diese in der Regel ebenso wie etwa der stetig prasselnde Regen die Grundstimmung des Titels recht gut. Musikliebhaber dürfen sich zudem über eine dem Spiel beiliegende Soundtrack-CD freuen, worauf noch einmal alle 18 Stücke gesammelt vorzufinden sind.
Schatzsuche mal anders
Während zur stilechten Grafik also eine meist passende Musik erklingt, löst Jack nacheinander eine Reihe von Aufgaben, die ihm in Reimform gestellt werden. Dabei handelt es sich um Hinweise des verstorbenen Lord Averton, die von Jack nacheinander zu entschlüsseln sind. So taucht das erste Rätsel beinahe wie aus dem Nichts plötzlich in Jacks Rätselbuch auf und wird lediglich durch ein Ausrufezeichen auf dem Bildschirm angedeutet. Eben jenes Rätsel gibt dabei einen Hinweis auf einen bestimmten Ort der Insel, der sobald er früher oder später bewusst oder gar durch Zufall gefunden wird, wiederum einen neuen Hinweis im Rätselbuch freischaltet und damit auch ein weiterer Ort darauf wartet, aufgesucht zu werden. Am Ende dieser Rätselkette soll sich dann schließlich ein Objekt befinden, das einen entscheidenden Einfluss auf die Menschheit haben könnte.
Entsprechend hangelt man sich fortan von Rätselnotiz zu Rätselnotiz und von Ort zu Ort. Damit diese überhaupt erst auffindbar sind, müssen zuvor meist irgendwelche Objekte, die mitunter über die gesamte Insel verstreut sind, eingesammelt und miteinander kombiniert werden. Auf die Frage, was nun eigentlich als nächstes zu erledigen ist, gibt es in der Regel nur wenige Hinweise, weshalb Jack lediglich von einer Szene zur nächsten geführt wird, um dort alle möglichen Hotspots abzuklappern und Kombinationen auszuprobieren. Bei Bedarf hilft dann auch die nützliche Hotspot-Hilfe entsprechend mit, die stellenweise im immer währenden Grau in Grau leicht übersehbaren Hotspots farblich hervorzuheben. Immer an Bord das Gefühl, dass die Rätsel vielmehr nur als Mittel zum Zweck dienen und nicht wirklich fordernd oder gar gut in die Handlung eingebettet sind. Als Konsequenz taucht die Geschichte während dieser Schnitzeljagd, nach eigentlich vielversprechendem Beginn, bis zum Schluss auch fast vollständig im Hintergrund ab.
Bug-Simulator 2012
Um sich entsprechend über die Insel zu bewegen und dabei den verschiedenen Hinweisen von Lord Averton nachzugehen, wird altbewährtes Point-and-Click eingesetzt, wobei mit jedem Hotspot auf drei Arten interagiert werden kann. Ein anhaltender Mausklick über einem Objekt oder einem Charakter öffnet ein Interaktionsmenü, welches ein Betrachten, ein Benutzen oder einen Dialog ermöglicht. Sollte eines davon keinen wirklichen Sinn ergeben, so reagiert Jack mit einer typischen Standard-Reaktion und somit leider auch nicht wirklich objektbezogen. Über die Benutzen-Schaltfläche können etwa Objekte ins Inventar aufgenommen werden, welches wiederum über eine entsprechende Schaltfläche am unteren Bildschirmrand geöffnet wird, um daraufhin Adventure-typische Interaktionen zu ermöglichen. Ungeduldige können das Lauftempo von Jack zudem über einen Doppelklick minimal erhöhen, das schnelle Abkürzen eines Szenenwechsels hingegen ist nicht vorgesehen. Stattdessen steht zumindest eine Inselkarte zur Verfügung, mit der bereits entdeckte Orte schnell bereist werden können und somit zu lange Laufwege glücklicherweise erspart bleiben.
Was in der Theorie alles noch ganz ordentlich klingt, zeigt sich in der Praxis dann aber als weitaus problematischer. Die Steuerung ist hakelig und reagiert oftmals träge oder nicht wie gewünscht. Doch nicht nur dort, sondern insgesamt hat 'The Second Guest' mit einigen Problemen zu kämpfen. Wenn wie aus dem Nichts ein Brief in Endlosschleife vorgelesen wird, der eigentlich zum Verständnis der Aufgabe viel früher hätte auftauchen müssen, Charaktere einfach so neben Jack auftauchen, das Spiel nicht mehr auf Mausklicks reagiert, Menüpunkte im Hauptmenü nicht korrekt angezeigt werden, falsche oder gar keine Dialogzeilen abgespielt werden oder man einfach unverhofft durch einen Absturz wieder auf dem Desktop landet, um nur einige der Beispiele zu nennen, dann durfte man Bekanntschaft mit einem der zahlreichen Bugs machen. Und diese treten nicht nur gelegentlich, sondern über die gesamten zwei Episoden in munterer Regelmäßigkeit auf. Bei einer Spielzeit von gerade einmal vier Stunden ist es schon erstaunlich, wie es derartige Fehler überhaupt durch eine Qualitätskontrolle schaffen konnten, falls es eine solche überhaupt gegeben hat. Ein bislang erhältlicher Patch behebt lediglich ein Problem mit Speicherständen bei fehlenden Administratorrechten, sollte daher aber auch unbedingt installiert werden. Die ganzen Unzulänglichkeiten verhindern dann teilweise rigoros, dass sich die Atmosphäre überhaupt erst richtig entfalten und man so in die Spielwelt eintauchen kann, wenn dem ständig eine fummelige Steuerung oder Abstürze im Wege stehen. Da passt es fast schon gut, dass die Handlung zusätzlich noch von einigen Logikproblemen begleitet wird. Weshalb sich Jack etwa nicht einmal darüber wundert, dass ein bisher frei zugänglicher Bereich plötzlich von der örtlichen Polizei abgesperrt wurde, ist dabei nur eines der Beispiele. So bleibt nur zu hoffen, dass in zukünftigen Episoden Besserung eintritt und vor allem auch das sperrangelweit offene und bislang noch unbefriedigende Ende noch zu einem würdigen Abschluss gebracht wird. Denn die beiden bisherigen Episoden bergen in sich die Gefahr, am Ende eben doch nur eine halbe Geschichte zu servieren, die bislang noch nicht einmal so richtig an Fahrt aufnehmen konnte.
UPDATE APRIL 2020
Mit einer Fortsetzung wurde es leider nichts mehr. Dadurch bleibt von der interessanten Basis leider nur eine ziemlich kaputte Umsetzung ohne richtiges Ende. Wir haben unsere Wertung dementsprechend angepasst. Schade!
Was für eine Enttäuschung! Es ist wirklich bedauerlich zu sehen, wie 'The Second Guest' das zweifellos vorhandene Potenzial einfach so herschenkt. Auch wenn die spezielle 2D-Grafik nicht gleich jedermanns Geschmack treffen wird, sie macht neugierig, passt einfach zu dem Titel und zeigt sich immer wieder von ihrer schaurig schönen Einfachheit, wenn, ja wenn da nicht die massiven Mängel wären, die fast alles wieder einreißen, was man sich hätte aufbauen können. Entsprechend ist die Grafik mit den kaum vorhandenen Animationen wirklich das geringste Problem des Titels, denn die zusammenhanglosen Rätseln, eine streckenweise belanglose und insgesamt zu kurze Handlung mit sperrangelweit offenem Ende sowie die mit Fehlern und fehlendem Komfort gespickte Bedienung repräsentieren genau das, was man in einem Adventure eben nicht sehen möchte, so dass selbst die hervorragenden Sprecher das Ruder nicht mehr herumreißen können. Ganz möchte ich die Hoffnung in die Episoden-Reihe noch nicht aufgeben. Das vielversprechende Fundament ist noch immer vorhanden, hat inzwischen aber sehr stark zu bröckeln angefangen. Findet in zukünftigen Episoden keine Weiterentwicklung statt, wird es das Comic-Abenteuer zumindest sehr schwer haben.
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The Second Guest
- Entwickler
- Twice Effect
- Publisher
- Headup Games
- Release
- 8. März 2012
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.secondguest.com/_de/index_de.html
- Art
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Independent
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- The Second Guest bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
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