Bereits zum sechsten Mal schickt Frogwares den britischen Detektiv Sherlock Holmes in einen neuen Fall. Und der könnte - wenn man nach dem Titel geht - auch der letzte des großen Ermittlers werden. Darauf hoffen im Spiel auch Scottland Yard und Holmes‘ Freund und Gefährte Dr. Watson, denn der Meisterdetektiv scheint die Seiten gewechselt zu haben. Aus diesem Grund lassen wir Dr. Watson die Geschehnisse zusammenfassen, ehe wir das Spiel unter die Corner-Lupe nehmen.
London, im Jahr 1898
Mein Freund Sherlock Holmes und ich wurden zum Haus des Marquis von Coningham gerufen, das zum Schauplatz eines Verbrechens wurde. Eine wertvolle Perlenkette wurde gestohlen, obwohl der Raum verschlossen war und nur der Marquis selbst einen Schlüssel zu der Tür hatte. Alle weiteren möglichen Fluchtwege waren von innen verschlossen. Ein Rätsel doch kein Problem für Holmes, der dank seines messerscharfen Verstands den Fall schon aufgeklärt hatte, bevor Inspektor Baynes von Scotland Yard eintraf. In kurzen Worten schilderte mein Kollege die Vorgänge und versetzte uns damit alle in Staunen: Ein kleiner dressierter Affe war in dem Raum eingeschlossen worden und hatte auf das Zeichen seines Besitzers hin mit der Arbeit begonnen. Kurz nachdem der pelzige Geselle die Kette entwendet hatte, warf er aus Unachtsamkeit einen Hocker um, der unglücklicherweise im noch brennenden Kaminfeuer landete und schnell Feuer fing. Dadurch aufgeschreckt, ergriff der Affe das nächstbeste Seil, das direkt mit der Hausglocke verbunden ist und durch den Glockenschlag das Personal alarmierte. Die Bediensteten standen schnell vor der verschlossenen Tür, bemerkten den Rauch aus dem Zimmer und versuchten nun, die Tür aufzubrechen um das Feuer zu löschen, was ihnen schließlich auch gelang. Der Affe hatte sich unterdessen in einen Kronenleuchter gerettet und nutzte die nun offen stehende Tür zur Flucht. Inspektor Baynes war von dieser Theorie ebenso überrascht wie alle anderen Anwesenden, doch hatte niemand von uns eine bessere Erklärung für die Vorkommnisse. Noch größer war die Überraschung, als Holmes schließlich auch die unversehrte Perlenkette präsentieren konnte, die dem verängstigten Tier bei seiner Flucht vom Hals gerutscht sein musste.
Wieder ein mit Bravour gelöster Fall, der eigentlich gar nicht erwähnenswert wäre, wenn er nicht der Auftakt zu dem größten und schlimmsten Fall gewesen wäre, in den Holmes und ich jemals verstrickt wurden. Und wenn ich darüber nachdenke, bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich Holmes überhaupt jemals richtig gekannt habe. Jenen Mann, mit dem mich so viele gemeinsame Abenteuer verbinden. Nie hätte ich geahnt, was in den Tagen nach dem Fund der Kette noch alles geschehen sollte. Doch der Reihe nach: Am Tag nach dem Fall der gestohlenen Kette erschien Inspektor Baynes in der Bakerstreet. Die Kette, die Holmes am Vortag an den Marquis übergeben hatte, war eine Fälschung. Und Holmes wurde bezichtigt, die Ketten vertauscht zu haben. Selbst die Zeitungen berichteten davon. Natürlich erkannte auch Holmes die Fälschung auf den ersten Blick und konnte den Inspektor vorerst von seiner Unschuld überzeugen.
Für diesen Tag stand ein Besuch beim Bischof von Knightsbridge an, der Holmes um ein Treffen gebeten hatte. Doch scheinbar kamen wir zu spät: Jemand hatte den Bischof umgebracht und entsetzlich zugerichtet. Die Bilder werden mich noch lange im Schlaf verfolgen und ich möchte meinen Lesern die grausamen Details nicht zumuten. Seltsamerweise verbot mein Freund einem ebenfalls anwesenden Reverend, die Polizei zu rufen. Lange ließ er sich jedoch nicht durch Worte aufhalten und so begleitete ich ihn in das Büro von Inspektor Baynes. Was Holmes in der Zwischenzeit anstellte, entzieht sich meiner Kenntnis. Nach unserer Rückkehr sprach mein Kumpan noch kurz mit dem Reverend, ehe wir beide überstürzt und noch vor dem Eintreffen der Polizei aufbrachen.
In den folgenden Tagen wandelte sich Holmes zu einer Person, die ich nicht mehr meinen Freund nennen kann. Nicht nur fuhr er mich immer wieder harsch an. Er half einem berüchtigten Verbrecher bei der Flucht aus dem Gefängnis, brach in das Haus eines Richters ein und verschwand ohne ein Wort vom Ort einer Bombenexplosion und ohne den Opfern auch nur einen Blick zu widmen. Vom gefragten Partner der Ermittler von Scottland Yard ist er zum meistgesuchten Mann des ganzen Königsreiches geworden. Inzwischen wird ihm gar der Mord an einem Inspektor zu Last gelegt. Holmes. Ein Mörder. Und ich habe ihm immer die Treue gehalten und ihm sogar bei seinen Verbrechen geholfen…
Eine Geschichte im Stil des A. Conan Doyle
An dieser Stelle enden die Ausführungen unseres „Gastredakteurs“ Dr. Watson. Schließlich wollen wir nicht zu viel verraten. 'Das Testament des Sherlock Holmes' beginnt, wie schon geschrieben, mit der Untersuchung eines seltsamen Diebstahls. Dieser kurze Abschnitt dient der Einführung in das Spiel, wir lernen die Steuerung und einige der Funktionen des Spiels kennen. Doch ist dieser Fall mehr als ein Tutorial. Er bildet den Einstiegspunkt in die Geschichte, in der Holmes immer weiter in die Illegalität abzurutschen scheint und während dieser nicht nur in Watson ernsthafte Zweifel an der Rechtschaffenheit des Detektivs aufkommen. Auch die Spieler werden lange über Holmes Ziele und die Hintergründe der Geschichte im Unklaren gelassen. Genau aus diesem Grund fühlt sich die Geschichte aber an, wie aus der Feder von Holmes Erfinder Conan Doyle, bei denen oft auch erst am Ende deutlich wird, wie alles zusammenhängt. Wobei es dann doch einen kleinen, aber feinen Unterschied gibt. In der Vorlage liefert der Autor immer wieder kleinste Hinweise anhand derer man schon mitkombinieren kann. Für die Spannung im Spiel wäre das aber nicht unbedingt förderlich, da man einen Großteil der Zeit damit verbringt, als Sherlock Holmes durch die Gegend zu ziehen. Dieser verfügt schon recht kurz nach dem Beginn über Hintergrundinformationen, die - sofern der Spieler sie kennen würde - der Geschichte ihre Spannung rauben könnten. Und genau davon lebt 'Das Testament des Sherlock Holmes'. Man mag den Controller nicht aus der Hand legen, ehe man das Finale erreicht hat. Selbst wenn die Geschichte hin und wieder kleine Aussetzer bei der Logik hat. Speziell den Abschnitt, in dem man den Spürhund Toby steuern darf, sollte man nicht zu sehr mit der Realität vergleichen, denn so manches Rätsel, das Toby löst, hätte wohl selbst Lassie zur Kapitulation gebracht.
Bis es aber soweit ist gilt es Hinweise und Indizien zu finden, die mit Lupen oder Händen gekennzeichnet werden sobald wir in ihre Nähe kommen. Sollte man dennoch einmal nicht weiterwissen, hilft „Holmes sechster Sinn“ mit der man sich alle noch aktiven Hotspots im aktuellen Bildausschnitt anzeigen lassen kann. Angeklickte Lupen liefern eine nähere Beschreibung oder weitere Hinweise, Hände kennzeichnen interaktive Objekte, die Holmes beispielsweise einsammeln kann. Die gefundenen Objekte finden sich immer in der Nähe der eigentlichen Aufgabe und landen im Inventar, wo sie zum Teil noch weiter kombiniert werden können. Sobald sie ihrer Bestimmung zugeführt wurden, verschwinden sie von selbst.
Deduktion für Anfänger
Deduktion ist - einfach gesagt - eine auf gewissen Vorsätzen aufbauende Schlussfolgerung. Diese für Holmes wichtige Arbeitsmethode findet in Watsons Notizbuch statt. Hier finden sich alle über den Mord am Bischof von Knightsbridge gesammelten Hinweise, aus denen wir dann in echter Detektivarbeit den Tathergang und ein Täterprofil erstellen müssen. Diese Aufgabe erfordert einige logische Überlegungen - oder Geduld, wenn man stattdessen auf Trial & Error setzt. Leider kommt die Deduktion nur dreimal zum Einsatz, das hätte durchaus öfter passieren dürfen.
Neben den Inventarkombinationen und der Deduktion finden sich immer wieder Logikrätsel in den Ermittlungsakten. Hier muss Holmes einen Dietrich biegen, um damit ein Schloss zu knacken. Da wartet eine elektrische Schaltung auf Manipulation, dort muss ein Seilknäuel entwirrt werden. Alle diese zum Teil recht anspruchsvollen Aufgaben sind überspringbar, wenn man einige Zeit mit erfolglosen Versuchen probiert. Im Gegensatz zum Vorgänger 'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper' braucht man auch bei schwereren Rätseln, die unter Umständen Fachkenntnisse erfordern, keine Lösung. Entsprechende Hinweise finden sich immer in der näheren Umgebung der Aufgabe.
Die bereits angesprochenen Inventar- und Objekträtsel fallen in der Schwierigkeit deutlich ab und lassen sich mit ein wenig Nachdenken problemlos lösen. Wenn man denn doch einmal festhängt, liegt es entweder an einem übersehenen Objekt oder daran, dass das Rätsel noch nicht dran ist. Denn das muss man dem Spiel leider bescheinigen: Es ist extrem linear. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man sich an einer Stelle entscheiden muss, welche von drei Spuren man zuerst untersuchen möchte. Die anderen beiden werden entsprechend später nachgeholt und den Schauplatz verlassen können Holmes und Watson erst dann, wenn alles Wichtige untersucht wurde. Auch wenn Holmes und Watson gleichzeitig ermitteln und man zwischen ihnen umschalten kann, bleibt das Spiel recht linear, denn irgendwann fehlt dem einen ein Objekt, das der andere erst erspielen muss. So stellt das Spiel sicher, dass der Spieler nie den roten Faden verliert, etwas mehr Freiheit bei der Ermittlung wäre aber wünschenswert gewesen.
Konsolen-Detektiv
Im Vergleich zum Vorgänger sieht der aktuelle Sherlock Holmes deutlich besser aus. Die Grafiken sind weniger kantig und die Animationen laufen runder ab. Zwar noch immer kein Vergleich mit aktuellen High-End-Grafiken anderer Genres, dafür sind die Animationen auch weiterhin zu steif und die Mimik zu unscheinbar. Für ein 3D-Adventure macht sich der Titel zumindest auf der Playstation 3 aber trotzdem recht gut, wenn auch die geklonten Gesichter irgendwann auffallen. Da es sich dabei aber nur um Statisten handelt, stört uns das nicht wirklich.
Die Steuerung geht nach kurzer Eingewöhnung gut von der Hand. Störend wirkt sich hingegen die Wegfindung aus, denn immer wieder bleiben Holmes, Watson oder der Hund Toby, den man auch einmal steuern darf, an unsichtbaren Grenzen hängen oder stehen sich selbst im Wege. Zumindest auf unserer Testkonsole hatten wir darüber hinaus das Phänomen, dass nach jedem gesprochenen Satz noch ein kurzer Soundschnipsel abgespielt wurde, der den Eindruck erweckte, dass schon der nächste Satz für einen Sekundenbruchteil anfängt. Wir hegen die Hoffnung, dass die PC-Version von diesem Problem nicht betroffen ist und die Playstation-Fassung irgendwann gepatcht wird.
PC-Detektiv |
Als durchweg gelungen kann man die Sprachausgabe bezeichnen. Nicht nur Holmes und Watson, auch alle anderen Charaktere wurden für die deutsche Lokalisierung gut besetzt und professionell eingesprochen. Von der Betonung bis zur Wortwahl, die natürlich etwas klassischer und förmlicher als in anderen Titeln ausfällt, passt hier alles. Die Untertitel können auf Wunsch ausgeblendet und die Dialoge übersprungen werden. Nachlesen kann man sie im Tagebuch von Watson, wo sich übrigens auch alle gefundenen Schriftstücke versammeln.
Abstriche muss man dagegen beim Soundtrack machen. Der bleibt zwar angenehm dezent im Hintergrund, bietet aber viel zu wenig Abwechslung und wird dadurch irgendwann langweilig.
Mit 'Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper' machten die Entwickler bereits einen guten Schritt nach vorn, dennoch hatten wir einige Kritikpunkte. 'Das Testament des Sherlock Holmes' setzt diesen Weg konsequent fort und liefert wieder weniger Grund zur Kritik. Die spannende und wendungsreiche Geschichte fesselt bereits nach kurzer Spielzeit und schafft es, die gesamte Spielzeit von 15 bis 20 Stunden gut zu unterhalten. Und das trotz der starren Linearität des Spiels - hier haben die Entwickler also alles richtig gemacht. Etwas mehr Freiheit hätte dem Spiel dennoch sehr gut getan. Warum darf ich zum Beispiel nicht alle drei Spuren gleichzeitig verfolgen? Und warum darf man nicht schon Gegenstände mitnehmen, auch wenn sie noch nicht gebraucht werden? Aufgrund der tollen Geschichte mag man über diese Kritikpunkte aber genauso gern hinwegsehen wie über die unsichtbaren Grenzen, vor die man immer wieder einmal läuft. Wer Lust auf einen guten Krimi im viktorianischen London hat, macht mit dem Spiel nichts falsch.
Fazit von Peter Färberböck:
Auch in der PC-Version findet man hier ein würdiges Sherlock Holmes Spiel und man fällt dem ganzen relativ schnell in den Bann. Man ist zwischen Vertrauen und Misstrauen hin und her gezogen, Holmes kann doch nicht der Bösewicht hier sein. Außer dem Bug des inaktiven Mauszeigers fiel eigentlich nichts negativ auf und somit hat sich die lange Vorfreude von Detektiv-Fans und Sherlockians ausgezahlt, denn auch auf diese wurde geachtet und einige Experten und Hardcore Fans von Sherlock Holmes wurden bie der Entwicklung herangezogen und gefragt. Dies merkt man an der Story deutlich, die könnte direkt aus einem Original Buch Stammen. Somit ist es sicher der beste Teil der Sherlock Holmes Serie und für Detektiv-Fans sehr zu empfehlen, sofern man nicht von blutigen Leichen, wenn auch virtuell, abgestoßen wird.
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Sherlock Holmes 6: Das Testament des Sherlock Holmes
- Entwickler
- Frogwares
- Publisher
- KOCH Media
- Release
- 21. September 2012
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://sherlockholmes-thegame.com/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Sherlock Holmes 6 bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
4 Kommentare
Ändert nichts daran, dass es eben genau hier zeigt, dass es extrem linear ist
sorry!