Kaum ein Meisterdetektiv bekommt derzeit im Fernsehen oder anderen Medien so viel Aufmerksamkeit wie Sherlock Holmes. Seien es diverse Filme oder Serien. Kein Wunder, dass Frogwares auch im siebten Teil weiterhin auf seine bekannte und beliebte Hauptfigur setzt. Im Gegensatz zu den vorigen Spielen ist diesmal aber nicht ein großer Fall zu lösen, sondern ganze sechs kleinere Fälle. Dafür gibt es dank Unreal Engine 3 nicht nur bessere Grafik, sondern auch neue Spielmechaniken zu bestaunen. Wie sehr sich der (fast) fehlende Bogen negativ auswirkt und ob wir mit Sherlock wieder mitfiebern können, versuchen wir Euch im Review genau darzustellen.

Fyodor Dostoyevski
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Genie & Wahnsinn |
Dr. John Hamish Watson liest ein Buch. Literaten unter uns mögen zumindest den Namen erkennen – Fyodor Dostoyevski. Der Roman trägt keinen geringeren Titel als Crimes & Punishments oder auf Deutsch Schuld & Sühne. Watson hört kurz darauf Schüsse im Salon, macht sich von seiner Schlafkammer auf den Weg dorthin und findet einen in Bademantel und Augenbinde gekleideten Sherlock Holmes. Natürlich macht dieser gerade blinde Schießübungen und wir schlüpfen in die Haut von John Watson. Von einer Deckung zur nächsten versuchen wir Holmes‘ Schüssen auszuweichen – was ist nur in ihn gefahren? Er hat nur Schießübungen auf Vasen durchexerziert, mit verbundenen Augen. Typisch Sherlock Holmes, der Exzentriker unter den Detektiven.
Wer jetzt auch noch die Serie mit Benedict Cumberbatch kennt, wird kurz erstaunt dreinblicken und schmunzeln, denn die typischen Schlagwörter – repräsentativ für Sherlocks Gedanken – schwirrende um seinen Kopf, als er dank den Schritten den Besucher der Wohnung erkennt, Inspektor Lestrade. Natürlich beginnt somit unser erster von sechs Fällen, das Schicksal von Black Peter.
Noch ahnen wir wenig, was Dostoyevskis Roman mit dem Spiel zu tun haben, aber relativ bald wird klar, dass wir ähnlich wie Raskolnikov im Roman vor moralische Fragen gestellt werden und es oft nicht ganz eindeutig ist, was nun wirklich die bessere Wahl ist.
Beobachten und Deduzieren
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Was können wir bei dieser Dame beobachten? |
Das essentielle Beobachten von Sherlock Holmes findet in diesem Spiel erstmals breiten Einzug. Bei jedem Gesprächspartner haben wir die Option ihn genau zu betrachten und deshalb mehr zu erfahren – und ganz nebenbei ein Charakter–Portrait samt kurzer Beschreibung freizuschalten. Solche atmosphärischen Gimmicks sind zwar meist relativ unwichtig, aber es fühlt sich doch mehr nach Holmes an. Abgesehen von reinen Nebensächlichkeiten, hat Holmes aber auch Sinneskräfte, die durchaus wichtig für das Lösen von Fällen sind. Sein sechster Sinn, oder die Sherlock Sicht, die man per Tastendruck einschalten kann, zeigt uns z.B. fehlende Gegenstände, Fußabdrücke oder Flecken von Chemikalien. Diese Sicht kann man zwar immer einschalten, aber benötigt wird sie nur dann, wenn auch das entsprechende Symbol, ein Auge, am Bildschirm auftaucht.
Auch Holmes Vorstellungskraft und Fantasie sind gefragt, denn per Knopfdruck versucht sich Holmes den Vorgang der Tat vorzustellen. Teilweise muss man selbst die Sequenz der Tat nachbauen, teilweise aber auch nur überlegen, wie etwas passieren konnte.
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Wir nutzen Holmes Fantasie ... unsere natürlihc auch |
Übliche Dinge, wie Holmes Labortisch, sein berühmtes Archiv und Verkleidungen kommen ebenso zum Einsatz. Bei einigen Fällen, darf man ordentlich mit dem Chemiebaukasten spielen, aber verloren ist man nie, denn Holmes gibt immer kräftig Tipps, auch wenn das erste schwerere Rätsel beim Mischen von Flüssigkeiten am Labortisch stattfindet. Auch die Verkleidungen sind vielfältiger, denn man kann sich ständig anders kleiden, natürlich nur sehr sinnbeschränkt, aber wer immer den eleganten Holmes mit Zylinder spielt, kann das auch machen. Natürlich gibt es auch Momente, wo es sinnvoll ist, aber wirklich Verkleiden muss man sich im Spiel nur zwei Mal.
Ebenso neu ist das Schlösser–Knacken, bei dem man verschiedene Zylinder so drehen muss, dass man die linke mit der rechten Seite durch eine durchgezogene Linie verbinden muss. Das klingt nicht nur sehr einfach, ist es in den meisten Fällen auch. In den späten Fällen merkt man aber, dass es doch relativ komplex werden kann. Nur in den wenigsten Fällen gibt es auch noch eine Art von Rätseln, wo man Gerüche oder Bilder von Holmes Erinnerung zusammenfügen muss, hier ist eine Art Hologramm so zu drehen und zu verschieben, dass daraus ein typisches Symbol, wie z.B. ein Sombrero für eine Zigarre entsteht.
Toby oder Watson?
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Toby fährt mit, Watson übrigens auch |
Wie im letzten Spiel darf man auch Toby wieder in zwei Fällen spielen und Gerüche verfolgen. Dies ist zwar ein süßes, kleines Minigame, aber gleichzeitig zeigt es auf, wie unwichtig eigentlich Watson im neuen Spiel ist. Direkte Gespräche kann man eigentlich so gut wie keine mit ihm auslösen, nur einmal – abgesehen vom kurzen Deckungsspiel der ersten Minuten – kann man ihn dann auch steuern, für ein kurzes kooperatives Schalterrätsel mit Sherlock, ansonsten sieht man ihn nur wirklich in Zwischensequenzen reden. Im Gegenteil, Watson ist meist sogar ein Hindernis, denn in engen Gängen oder verwinkelten Ecken kann er dann schon mal genau im Weg stehen und man möchte ihn am liebsten wegschubsen.
Was an Liebe zum Detail bei der Interaktion mit Watson fehlt, findet man dafür in der Grafik und in diversen Anspielungen. Nach der Ankündigung, dass Frogwares dieses Mal auf die Unreal Engine 3 setzen, hat man schon vermutet, dass es gut aussehen kann, aber das Dargebotene ist wirklich eine Augenweide. Oft fragt man sich, warum Adventures nicht alle so gut aussehen – natürlich sind nur jene Adventures mit realistischer Grafik gemeint. Die Beleuchtung und Modellierung ist meist wunderschön, gleichzeitig ist das Spiel aber auf vollen Details in unserer vorliegenden Version ganz schön hungrig, denn auf unserem Testsystem von einem Intel i7–2700 mit 3,5 GHz, 16 GB Ram und einer nVidia Geforce GTX 770 kam es selter, aber doch zu kleinen Rucklern, vor allem bei Ladebildschirmen.
Apropos Ladebildschirme. Dieses Mal sind es Kutschfahrten mit einem guten Buch – natürlich wieder aus Dostoyevskis Roman oder das eigene Fallbuch – und gegebenenfalls mit Watson oder Toby. Auch ein schönes kleines Detail. Ebenso witzig sind kleine Details wie Berichte im Archiv über alte Fälle. Jack the Ripper darf hier genauso wenig fehlen wie die Studie in Scharlachrot.
Die Moral von der Geschicht‘?
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Moralapostel Holmes? |
Trotz nur geringfügig überspannenden Handlungsrahmen, der doch ein wenig an die Krise im Heimatland des Entwicklers, der Ukraine, erinnert, geht es doch auch um eine kleine moralische Frage im Laufe des Spiels. Sperre ich einen Täter ein, obwohl er eigentlich nur eine Frau beschützt hat? Ist jemand schuldig, der einen anderen Verbrecher tötet? Würde Sherlock Holmes wirklich so weichherzig handeln? Genau das fragt man sich eigentlich bei jedem Fall: Wie würde man selbst handeln und was würde Sherlock Holmes tun, denn dieser ist ja doch oft sehr kaltherzig dargestellt. Dieses Prinzip ist zwar ein interessanter Ansatz, aber bei Sherlock Holmes fraglich, ob es passend ist. Trotzdem macht es das Spiel interessant, weil man doch ziemlich überlegt.
Neben dieser moralischen Entscheidung für jeden Fall und für die umspannende Handlung, darf man sich auch noch durch jeden Fall kämpfen und den richtigen Täter beschuldigen. Denn man kann hier durchaus falsch liegen. In den meisten Fällen ist es zwar, wenn man alle Hinweise findet, relativ einfach, aber voreilig sollte man nicht handeln, denn zumindest in einem Fall tat ich mich schwerer, wer nun wirklich der Täter war. Wir hätten uns aber gewünscht, dass es einerseits oft schwerer ist, herauszufinden wer wirklich der Täter ist, aber auch lohnenswerter, denn im Test sind uns jetzt keine Konsequenzen aufgefallen, kann aber auch daran liegen, dass wir alle Fälle richtig gelöst haben. Das ist aber auch nicht so schwer, weil man nach jedem Fall mit Leertaste nachprüfen kann, ob man alle Hinweise gefunden hat und richtig entschieden hat und man kann sein Urteil noch einmal revidieren. Trotzdem läuft nach 13–16 Stunden das Ende über den Bildschirm – oder am Fernseher, denn das Adventure ist auch für PS3, PS4, Xbox360 und Xbox One zu haben. Man verspürt eine gewisse Genugtuung, aber auch Trauer, dass es schon vorbei ist.

'Sherlock Holmes: Crimes & Punishments' macht fast alles richtig. Eine Top–Grafik, unterhaltsame, nicht zu leichte Rätsel, schöne Dialoge mit erstklassigen Sprechern, dazu eine Prise Hirnschmalz und Deduktion und fertig ist das hervorragende Adventure. Doch negativ fallen trotzdem der fehlende große Fall, die große umspannende Handlung auf, denn das kleine Zusatz–Fällchen am Ende kommt zwar allgegenwärtig vor, ist aber eher eine zusätzliche moralische Entscheidung als ein wirkliches großes Finale. Wenn Frogwares nächstes Mal wieder so eine Meta–Handlung sowie etwas mehr Interaktion mit Watson und schwierigere Entscheidungen bei Deduktionen, wo man doch einige Minuten davorsitzt, dann sitzen wir vor einem richtigen Kracher, der die Adventure–Welt erzittern lässt. Da dies fehlt, bleibt es "nur" ein sehr gutes Spiel, das mir die Abende versüßt hat und trotzdem für Sherlockians und Adventure–Fans, die nicht nur Point&Click spielen, sondern auch mit WASD und Maus, oder Controller spielen wollen, ein Muss.
Fazit von Matthias Glanznig:
Frogwares hat kräftig am Konzept der Reihe geschraubt. Manch alteingesessener Fan der Reihe wird darüber klagen, dass der Weg näher hin zu modernen Genre-Interpretationen, wie jene von Telltale Games führt. Keine Frage, der Schwierigkeitsgrad liegt klar unter 'Testament des Sherlock Holmes'. Wer sich daran jedoch nicht stößt, den erwartet ansonsten ein in vielerlei Hinsicht hervorragendes Krimi-Abenteuer.
Vorwerfen kann ich 'Crimes & Punishments' primär, dass es hier relativ schwer ist, den Falschen einsperren zu lassen. Dazu erlaubt das deduktive System derzeit zu wenig falsche Schlüsse und mit falschen Herleitungen gelangt man selten zu einem Täter. Für ein Sequel würde ich mir diesbezüglich mehr Flexibilität wünschen. Zudem hätte ich gerne mehr von Dr. Watson gesehen und eine übergreifende Rahmenhandlung klasse gefunden (letzteres gibt es nur im Ansatz).
Die Fälle sind für sich genommen dennoch spannend genug, um prima zu unterhalten. Noch dazu ist das Gameplay erfreulich abwechslungsreich gestrickt und probiert vieles aus. Auch die technische Umsetzung steckt den Vorgänger in die Tasche, insbesondere was die Grafik angeht. All das macht Lust auf mehr. Die charismatische englische Sprachausgabe ist ebenfalls klasse, obgleich das Fehlen der deutschen Vertonung natürlich sehr schade ist. In Summe hat mich 'Crimes & Punishments' rund 15 Stunden lang toll unterhalten und ist bislang mein Lieblingsspiel aus der Holmes-Reihe.
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Sherlock Holmes 7: Crimes and Punishments
- Entwickler
- Frogwares
- Publisher
- Focus Home Interactive
- Release
- 30. September 2014
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award • Adventure des Jahres Redaktionswahl
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://sherlockholmes-thegame.com/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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5 Kommentare
aber ja, den Groll über fehlende deutsche Sprachausgabe einiger Spieler ist verständlich
Das Game Sherlock Holmes lebt von der Sprache, Gta nicht!
Die ganzen klugscheißer gehen mir auf den ...., die Englische vertonung passt nicht so gut zum Charakter wie die Deutsche vertonung.
Es ist viel Intensiver das Game in Deutsch zu Spielen, alls ständig mitlesen zu müssen.
Da ausschließlich gesprochen wird.
Für die Deutschen Fans von Sherlock Holms ein Schlag ins Gesicht!!!!