Capcoms investigative Visual-Novel-Serie rund um den Strafverteidiger Phoenix Wright nahm 2001 ihren Anfang. Erfolgreich war sie vorwiegend im japanischen Raum, wo es neben Spin-Offs und Manga-Comics, 2012 zu einer Realverfilmung kam. Traditionell erschien die Anwaltsreihe immer zuerst auf Nintendos aktuellem Handheld (Gameboy Advanced, Nintendo DS und Nintendo 3DS). Erst 2013 wurde Capcom auf den iOS-Sektor aufmerksam und veröffentlichte dort die ersten Abenteuer als Trilogie. Offenbar war dieser Release lukrativ genug, um wenig später 'Ace Attorney: Dual Destinies' nachzulegen, das fünfte Abenteuer mit dem Strafverteidiger. Wir haben uns diese Portierung näher angesehen und verraten Euch, für wen sie interessant sein könnte.

-> Review zu 'Ace Attorney 6 - Spirit of Justice'
Was bisher geschah...
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Apollo Justice sieht sich mit einem schweren Schicksalsschlag konfrontiert |
Wer zuvor lediglich in den Genuss der iOS-Trilogie kam, ist zu Beginn vermutlich verwirrt, denn Capcom hat den vierten Teil der renommierten Anwaltsserie komplett übersprungen (den gibt es nur für den Nintendo DS und 3DS): Zwar ist spielerisch im Kern alles beim Alten geblieben, doch die Ausgangslage zeigt sich stark verändert: Auf vertraute Gestalten wie Pearls, oder Miles Edgeworth wartet man als Kenner der Reihe lange und Maya Fey fehlt mehr oder weniger komplett, von Dick Gumshoe ganz zu schweigen. Dafür hat Phoenix eine Adoptivtochter namens Trucy und einen neuen Schützling. Den hatte er auch notwendig, nachdem er in den letzten Jahren nicht seiner Profession nachgehen durfte. Doch was war geschehen?
Als Konsequenz der Ereignisse im vierten Ableger der 'Ace Attorney'-Reihe ('Apollo Justice: Ace Attorney'), sah sich Phoenix Wright vor Jahren zu einer beruflichen Auszeit gezwungen. Vorgeworfen wurde ihm das Fälschen von Beweisen. Natürlich waren diese gemeinen Anschuldigungen keineswegs zutreffend. Erst zu Beginn des neuen Abenteuers, hat sich dieser Irrtum erledigt. Unglücklicherweise ließ das besagte Verfahren (und ein weiteres) das hiesige Rechtssystem in ein dunkles Zeitalter stürzen. Selbst im Rahmen der Ausbildung wird nunmehr fröhlich gelehrt, dass Gerechtigkeit nur mit unlauteren Mitteln möglich sei. Für den Staranwalt ein Grund mehr, um erneut in Aktion zu treten und das allgemeine Vertrauen ins Rechtssystem wiederherzustellen. Fragt sich nur wie?
Komplex verzweigte Handlung
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Athena Cykes ist neu im Team |
Themen wie das Vertrauen und der Glaube an sich selbst, stehen im Zentrum von 'Dual Destinies'. Sei es der Glaube an sich selbst, an Freunde, Kollegen, Klienten, oder eben an den Justizapparat. Wie kann man mit Zweifeln umgehen? Geht das überhaupt? Das Abenteuer versucht bis zum Ende eine Antwort zu formulieren und die ist stimmig. Weil dieses Thema viele Facetten hat, wird es von mehreren Seiten angepackt. So steht in der ersten Hälfte nicht der Staranwalt im Mittelpunkt. Vielmehr dreht die Geschichte sich um seine beiden Kanzlei-Schützlinge: Athena Cykes und Apollo Justice. Während der aufbrausende Apollo dank seines Armbandes Lügen entlarven kann, ist die junge Athena empathisch veranlagt und verfügt über eine Technologie, um Gefühle zu analysieren. Gemeinsam mit ihrem Mentor wollen sie ein Zeichen setzen für ein gerechteres System. Ein Mord stellt das Trio jedoch auf die Probe und sorgt für Zweifel der anderen Art...
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Ein Staatsanwalt mit dunkler Vergangenheit |
Angesichts des erhöhten Expositionsbedarfs kann es schon ein bisschen dauern, ehe die Handlung auf Touren kommt. Hat man sich eingelebt, ist es jedoch umso schwerer wieder aufzuhören. Allerdings möchte die letzte Episode viel unter einen Hut bringen und wirkt dadurch womöglich etwas überladen. Noch dazu knüpft die Geschichte wie bereits erwähnt an Ereignisse des vierten Teils an, was gerade Neulingen viel Aufmerksamkeit abverlangen kann. Das Wesentliche wird jedoch rekapituliert und es bleibt Zeit, um alles in Ruhe sickern zu lassen. An die Trilogie reicht die Story eher nicht heran, dennoch steht unterm Strich einmal mehr ein sehr positives Spielerlebnis, ohne zu gravierende Durchhänger.
Typische Erzählstruktur
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Phoenix Wright hat einiges zu tun... |
Wer mit der Reihe vertraut ist, der weiß, dass jeder Teil in etwa wie die Staffel einer Serie aufgebaut ist. Auch 'Dual Destinies' ist in fünf miteinander verwobene Episoden unterteilt (die alle bereits im Spiel inkludiert sind) und bietet in Summe etwa 25 bis 30 Stunden Unterhaltung. Während der Auftakt verhältnismäßig kurz ist, beschäftigen die weiteren Abschnitte nicht selten fünf Stunden und länger.
Übrigens wird sogar ein kurzes Bonuskapitel als kostenpflichtiger DLC angeboten. Dieses ist in vier bis fünf Stunden zu bewältigen und vorwiegend als kleiner Zeitvertreib für Zwischendurch zu verstehen. Für die Haupthandlung tut der DLC nämlich nichts zur Sache.
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... und wie gewohnt mit seltsamen Gestalten zu kämpfen |
Zuweilen ist spürbar, dass bei 'Dual Destinies' nicht wie gewohnt Shu Takumi hauptverantwortlich ist. Die Geschichte ist nüchterner erzählt, düsterer. Trotz des veränderten Entwicklerteams ist es gelungen, die Essenz einzufangen. Wer sich auf die Spuren des Anwalts begeben möchte, sollte allerdings darauf gefasst sein, dass auch dieses Sequel mit absurden Persönlichkeiten jongliert: So kann ein Staatsanwalt schon mal seinem Job nachgehen, obgleich er ein Häftling ist, oder man schlägt sich mit einem durchgeknallten Bombenexperten herum, der nur via Texteingabe kommuniziert. Dann wäre da noch ein manisch-depressiver Astronaut mit Angst vor dem Weltraum, der ständig gähnt und mehr. Wer mit dieser Art nichts anzufangen weiß, ist hier an der falschen Adresse. Dennoch sind die Charaktere greifbar und es kann sehr unterhaltsam sein, sie vor Gericht auseinander zu nehmen.
Widersprüche und Beweise
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Tatorte untersuchen wir sozusagen per Zeigefinger |
Damit wären wir beim Gameplay angelangt: Das Spielprinzip basiert auf dem Aufdecken von Widersprüchen vor Gericht und der hotspotartigen Suche nach Hinweisen am Tatort. Wer vor Gericht den falschen Beweis wählt, wird bestraft und zu viele Fehler führen prompt zu einer Niederlage. Sind keine Widersprüche ersichtlich, bohrt man solange nach, bis neue Details ans Tageslicht kommen, die man evidenzbasiert in Frage stellt. Das Kreuzverhör wird solange wiederholt, bis alles getan ist, was zu tun ist. In einigen Situationen ist dieses Prinzip knifflig und spannend umgesetzt, obwohl 'Dual Destinies' vermutlich zu den etwas leichteren Ablegern der Reihe zählt.
Zwar hätte es in ein paar Situationen ruhig noch mehr Interaktivität geben können und es ist schade, dass die Suche nach Fingerabdrücken diesmal fehlt, doch das Gebotene ist meist sehr stimmig. Während der Verhandlung sammeln sich oft um die 20 Beweise im Inventar - darunter auch detailreiche Bilder und Pläne (hier reicht es fast nie, diese einfach nur auszuwählen. Wir müssen den für den jeweiligen Beweis relevanten Bereich vielmehr zeigen können). Im wilden Schlagabtausch mit dem Staatsanwalt ist so gesehen eine Fülle an Hinweisen zu berücksichtigen. Manchmal geht es schlicht darum, sämtliche Informationen zu reflektieren und deduktive Schlussfolgerungen im Multiple-Choice-Format zu ziehen, bis wir ein besseres Bild vom Fall haben.
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Hier sehen wir Aussage für Aussage, welche Emotion vorherrschen |
Abgesehen davon – und dieses Gameplay-Element ist zumindest im Vergleich zur Trilogie neu - kann Athena vor Gericht Emotionen analysieren, wobei wir Aussage für Aussage prüfen können, welche Emotion gerade vorherrscht und dann auswählen, ob es bei einer Aussage eine Gefühlslage gibt, die nicht dazu passt. Selten aber doch sind diese Regungen blockiert, weshalb wir dann überlegen müssen, welches Detail der zu den Aussagen passenden Erinnerungen das verursachen könnten. Reizvoll ist obendrein die Suche nach kleinen Anzeichen, die auf eine Lüge hindeuten (Handbewegungen, seltsame Bewegungen bei den Augen und so weiter). Dabei legen wir Aussage für Aussage unseren Fokus auf kleine Ausschnitte des Körpers der betroffenen Person.
Alte Problemstellen
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Versteckte körperliche Reaktionen können vereinzelt Lügen entlarven |
Ein kleiner Nachteil der Reihe war immer schon die strenge Linearität. Diesmal gilt das vielleicht einen Ticken mehr als sonst: So gibt es kein Weiterkommen, wenn man am Tatort nicht alle Details untersucht hat, oder einem Zeugen einen bestimmten Gegenstand nicht zeigt, oder eben den einen Widerspruch in einer konkreten Aussage nicht aufdeckt. Selten können wir bei mehreren Schauplätzen parallel ermitteln. Wer in Gedanken zwei, drei Schritte weiter ist, muss sich zuweilen etwas länger gedulden, ehe man zuschlagen darf. In diesem Sinne ist es leider nicht möglich, ein Verfahren auf anderem Wege zu gewinnen, oder vielleicht sogar schneller.
Zwar besteht üblicherweise die Möglichkeit, bei Aussagen von Zeugen weiter nach zu bohren, doch ist nicht immer leicht zu erahnen, was Phoenix, Apollo oder Athena ausgehend von der jeweiligen Information erfragen werden. Immerhin entstehen mitunter witzige Situation, wenn die Akteure dumme Fragen stellen, sich blamieren und/oder einen gewagten Bluff riskieren. Und wie bereits angedeutet, sehr ernst nimmt sich dieses skurrile Justiz-Abenteuer ohnehin nicht, selbst wenn es inmitten der amüsanten Absurdität schon mal sehr dramatisch werden kann.
Abgesehen davon sind die 'Phoenix Wright'-Spiele – und das ist typisch für ein Visual-Novel-Abenteuer – ungemein textlastig: Wer auf ein einstündiges Kreuzverhör mit Ausschweifungen keine Lust hat, bei dem es viel Stoff zum Lesen und Mitdenken gibt, der ist hier schlecht aufgehoben. Das ist aber nicht zwangsläufig ein Kritikpunkt, da 'Dual Destinies' primär als Visual Novel zu verstehen ist, die viel Verwandtschaft zu Adventures zeigt und nicht umgekehrt. Für das was es ist, ist es in jedem Fall erstaunlich reich an interaktiven Elementen, die man sich mitunter sogar in anderen Adventures wünschen würde.
Schlichte, aber verbesserte Umsetzung
Ursprünglich wurde 'Dual Destinies' für den Nintendo 3DS entwickelt, weshalb die technischen Möglichkeiten beschränkt sind. Dennoch sieht es recht hübsch aus. Insbesondere verglichen mit den Nintendo DS-Vorgängern ist ein klarer Fortschritt spürbar.
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Schade, dass wir nicht noch öfter auf vertraute Gestalten treffen |
Insbesondere die Anime-Zwischensequenzen wurden stimmungsvoll realisiert. Allerdings gibt es davon nicht viele und sie sind kurz. Während der Zwischensequenzen tönt uns eine gut vertonte englische Sprachausgabe entgegen. Die englischen In-Game-Texte bleiben schriftlicher Natur und eine deutsche Lokalisierung fehlt. Bei den Charakteren im Spiel fand ich einige Animationen zudem sehr steif und die wenigen vertrauten Akteure wirken mitunter verändert. Recht nett visualisiert wurden immerhin die Schauplätze, die wir in einer statischen First-Person-Perspektive zu Gesicht bekommen. Mit Ausnahme des Gerichtssaals, sieht man sich in jeder Episode mit unterschiedlichen Schauplätzen konfrontiert (z.B. Universität, Raumbasis, Dorf).
Positiv fällt abgesehen davon die musikalische Untermalung auf. Jede Schlüsselfigur hat ihre eigene Komposition und vor Gericht wird gern mit diesem Element gespielt: Redet Phoenix Wright sich bei der Beweisführung in einen Fluss, tönt sein musikalisches Thema im Hintergrund und beherrscht das Geschehen. Sobald der gegnerische Anwalt ein entscheidendes Gegenargument hat, gewinnt dessen Melodie die Oberhand. Eben dieses Wechselspiel unterstreicht prima den Charakter dieser Visual Novel, die gerne einen offenen Schlagabtausch demonstriert.
Keinen Einspruch erfordert die unkomplizierte Touchscreen-Handhabung. Das Interface ist simpel und intuitiv und die automatischen Speicherfunktion tritt nach jeder Aussage in Kraft. Manuelles Speichern ist jederzeit möglich und die integrierte Batterie-Anzeige ist eine praktische Ergänzung für mobile Geräte. Erfreulicherweise halten sich die Laufwege in Grenzen und jeder relevante Schauplatz ist ohne grobe Umwege mit zwei Befehlen betretbar (das war zuletzt nicht immer so). Ein Transkript aller Gespräche ist jederzeit abrufbar und wer etwas überlesen oder vergessen haben sollte, kann sich im Zweifelsfall nachträglich schlau machen.
Mit 'Dual Destinies' ist Capcom eine starke Fortsetzung der verspielten Erfolgsreihe aus Japan gelungen. Die juristischen Fälle sind interessant verschachtelt, wobei man bei manchen dramaturgischen Konstruktionen ein Auge zudrücken muss. Insbesondere der Handlungsstrang um Athena Cykes hat mir jedoch gut gefallen und die fünf Episoden bauen geschickt und spannend aufeinander auf. Grundsätzlich ist das Spiel auch für Neulinge zugänglich und wiederholt essentielle Informationen, doch Vorwissen ist von Vorteil.
Abgesehen davon zeigt sich die Präsentation (Grafik, Musik) deutlich verbessert und die neuen Gameplay-Elemente machen Lust auf mehr. Schade, dass diese dann nicht noch ein bisschen häufiger zum Einsatz kommen. Für Visual-Novel-Fans ist 'Dual Destinies' in jedem Fall ein heißer Tipp und weil es zudem reich an interaktiven Elementen ist, kann es auch für Adventure-Fans sehr lohnenswert sein. Mir hat es jedenfalls gut gefallen und der Umfang ist hervorragend (mehr als 25 Stunden Spielzeit). Bleibt zu hoffen, dass Capcom bald weitere Sequels für mobile Geräte veröffentlicht.
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Ace Attorney: Dual Destinies
- Entwickler
- Capcom
- Publisher
- Capcom
- Release
- 13. August 2014
- Trailer
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2 Kommentare
Schade, denn das hört sich sehr interessant an. Aber extra deswegen werde ich mir kein iOS-Gerät zulegen.