Entscheidungen: Das Leben besteht eigentlich aus Entscheidungen. Horrorfilme sind meistens gespickt mit schlechten Entscheidungen. Charaktere gehen allein in finstere Keller, lassen Waffen oder Taschenlampen liegen und schlussendlich sind sie oft dem Tod geweiht. Spätestens seit Telltale Games sind Entscheidungen auch in reinen narrativen Spielegenres ein populäres spielerisches Element. Üblicherweise wird dabei jedoch nur die Illusion von echten Entscheidungen erzeugt. Supermassive Games versucht mit dem PS4 Spiel ‘Until Dawn‘, sowohl im Horror-Genre als auch im Genre, diese Mankos auszubessern. Sie versprechen Entscheidungen mit Auswirkungen, alternative Enden und verschiedene Spielwege, basierend auf den Entscheidungen des Spielers. Ja, es soll sogar möglich sein, alle Akteure lebend durch das gruselige Abenteuer am Mount Washington zu bringen. Wie es uns bei diesem Unterfangen ergangen ist und ob das Spielkonzept sich auch so gut spielt, wie es klingt, lest Ihr in den nächsten Zeilen.

Teenie-Horror der 90er
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Noch weiß Hannah nicht wie ihr geschieht |
Im derzeitigen Retro-Boom findet man so einige verloren geglaubte Genres wieder. Pixel-Adventures, FMV-Spiele oder gar Sidescroller? Alles schon vorhanden. Da ist es nicht weit hergeholt, auch einen 90er-Teenie-Horrorstreifen zu produzieren – oder gar eine interaktive Version davon. ‘Until Dawn‘ setzt genau hier an. Bei einer Feier in den Bergen wird Hannah ein kleiner Streich gespielt. Diese rennt darauf wutentbrannt mit Tränen aus den Augen in den Wald und ihre Zwillingsschwester eilt hinterher. Der fiese Streich endet für beide leider tragisch. Ein Jahr danach will ihr Bruder Josh zu Ehren der verschollenen Schwestern eine Art Gedenkfeier auf der Familienhütte veranstalten. Ihm zuliebe kehrt die Clique zurück nach Blackwood Pines. Mit gemischten Gefühlen. Typisch für Teenies gibt es beim Zusammentreffen prompt Zicken-Terror, kindische Scherze, Macho-Gehabe und auch im Liebesleben ist die Uhr nicht stehengeblieben.
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Unheimlich |
Der Grundstein für einen typischen Horrorstreifen wäre somit gelegt. Langsam wird zudem deutlich gemacht, dass in dieser Gegend reale Bedrohungen lauern. Erst beiläufig, dann immer intensiver und klarer. Ein mysteriöser Sträfling soll sich hier herumtreiben, unerklärliche Vorfälle werfen zusätzliche Fragen auf. All das und mehr lädt zum wilden Spekulieren ein. Ohne das narrative Rad neu zu erfinden, erweist sich Supermassive Games sehr geschickt darin, kontinuierlich neue Informationshäppchen aufzutischen, die für das weitere Geschehen mehrere Möglichkeiten zulassen, oder einfach nur gezielt irreführen wollen. Ein Detail zu erraten, bedeutet längst nicht, das gesamte Bild zu kennen. Genau das führt dazu, dass die routiniert erzählte Geschichte bis zum Ende hin spannend und unterhaltsam bleibt. Dass hier Autoren mit Film-Erfahrung am Werk waren, ist jedenfalls kaum zu übersehen und es fällt schwer den Controller wegzulegen.
Hollywoodreif!
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Schauspieler überzeugen. Hier: Hayden Panettiere |
Was wäre eine filmtaugliche Story ohne geeignete Darsteller? Die für zwei Golden Globes nominierte Hayden Panettiere (u.a. 'Nashville'), oder Peter Stormare ('Fargo'), Rami Malek ('Need for Speed') und Brett Dalton ('Agents of S.H.I.E.L.D.') sind nur ein kleiner Auszug der interessanten Besetzung. Vor allem die ersten beiden werden einigen bekannt vorkommen, Film- und Serienkenner wahrscheinlich alle vier. Diese und andere Schauspieler hauchen den Akteuren von 'Until Dawn' recht gekonnt Leben ein. Als echter Teenager geht streng genommen zwar keiner mehr durch, doch so eine Nebensächlichkeit war noch nie eine Hürde für Teenie-Horror.
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Was Mike da wohl erblickt hat? |
Hinzu kommt der filmische Stil, ohne lange Monologe, dafür mit Pausen, die Gefühle offenbaren. Meistens wirkt das Spiel eher wie ein interaktiver Hollywood-Streifen, ohne zu einem Quicktime-Feuerwerk wie 'Heavy Rain' zu verkommen. Vielmehr werden auch ausgiebige Explorations-Passagen geboten. So irrt man schon mal eine halbe Stunde verloren durch dunkle Gänge, lauscht ängstlich der bedrohlich atmosphärischen Soundkulisse, um zu erahnen, wo eine Bedrohung warten könnte und sammelt nützliche Hinweise, die ein besseres Verständnis für die Vergangenheit des Orts vermitteln sollen. Da praktisch hinter jeder Tür eine Gefahr lauern könnte, zehren solche Ausflüge durchaus am Nervenkostüm und sorgen mit jeder weiteren Minute für zusätzliche Anspannung. Klassische Rätselkost sollte man sich jedoch nicht erhoffen.
Gesammelte Informationen werden übrigens im Menü festgehalten und sind dort jederzeit einsehbar. Auch gibt es dort eine Statistik zur Persönlichkeit der aktuellen Spielfigur. Abgesehen von herkömmlichen Gegenständen findet man in der Umgebung immer wieder Totems, die vor einem drohenden Unglück warnen, was einem dabei helfen soll, ohne Verluste durchs Spiel zu kommen. Neben möglichen Gefahren zeigen diese Objekte auch andere Hinweise, wie zum Beispiel glückliche Wendungen.
Vorgegebene Persönlichkeiten
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Dürfen wir vorstellen: Der Nerd |
Zumal wir es mit nicht weniger als acht Protagonisten zu tun haben, verfügen diese bereits über eine klar vorgegebene Persönlichkeit. Das unterscheidet sich etwas von den typischen Telltale-Spielen, wo es mehr Spielraum im charakterlichen Bereich gibt. Anders wäre es jedoch sehr schwer, dem Spieler alle Charaktere während der acht bis zehnstündigen Geschichte nahe zu bringen. Sobald wir eine neue Figur antreffen, wird diese in einem kurzen Insert schriftlich vorgestellt. Auch das Verhalten und Aussehen der Person gibt eine klare Richtung vor. Chris ist zum Beispiel der klassische Nerd der Runde, hat immer einen Scherz auf den Lippen, ist in anderen Dingen jedoch eher schüchtern. Binnen weniger Sekunden liegen die Karten auf dem Tisch.
Entscheidungen wie wir sie in 'Until Dawn' treffen, bewegen sich deshalb eher nur im Rahmen der jeweiligen Persönlichkeit, oder sie sind leistungsbezogen. Die diversen Persönlichkeitsstatistiken im Menü sind so gesehen nur als nettes Gimmick zu betrachten, beziehungsweise als Orientierungsanker, um gewisse Reaktionen im Spielverlauf besser zu verstehen. Vermasselt Womanizer Mike beispielsweise zu viele Gelegenheiten, um sich Jessica gegenüber romantisch zu beweisen, zeigt sich das in einem niedrigen Romantik-Wert und kurz darauf einem sehr erfolglosen Anmachversuch. Macht er es richtig, wartet eine ganz andere Szene.
Entscheidungen und Konsequenzen
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Die Qual der Wahl |
Damit wären wir bei der Kraft von Entscheidungen angelangt. Wie variabel ist der Spielverlauf nun tatsächlich? Grundsätzlich verfolgt die Geschichte eine klare Linie mit einem klaren Endpunkt. Auf dem Weg zum Ziel wird dennoch viel Flexibilität geboten. So kann im Verlauf der Handlung jeder Protagonist sterben, oder alle überleben. Wir können zum Schluss eine klare Vorstellung von der Geschichte haben, oder nur Bruchstücke. Auch die Freundschaft zwischen den Charakteren kann sich höchst unterschiedlich entwickeln, was manche Szenen in einem anderen Licht erstrahlen lässt. Selbst auf der Flucht gibt es typischerweise mehrere Szenarios, wie dieser Versuch klappen, oder schieflaufen kann. Je nach Ausgang kann eine spätere Szene unter veränderten Voraussetzungen starten.
Intuitiv
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Schneeballschlachten oder Schießübungen dienen zur Einführung |
Controller-Veteranen werden mit der Steuerung kaum Probleme haben. Der linke Analogstick steuert den Charakter, der rechte steuert den Lichtkegel der Taschenlampe oder der Laterne. Dazu kommen manchmal Quicktime-Events, X für Interaktionen und L1 für schnelleres Gehen. Dann wäre da noch das R1 Menü für die besagten Hinweise, Totems und Gefühlszustände. Aber selbst das Touchpad wird sehr intuitiv eingesetzt: Seiten blättert man hier zum Beispiel mit einem Wisch in die entsprechende Richtung um. Am unteren Bildschirmrand wird man stets daran erinnert, mit welchen Bedienungselementen man in dieser Szene etwas tun kann. Selbst Verstecken passiert auf eine interaktivere Art und Weise, denn hier muss man den Controller mitunter besonders ruhig halten – inklusive erhöhtem Schwierigkeitsgrad dank Vibration desselben.
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Der Lichtkegel folgt unseren Kommandos. |
Wer es noch intuitiver haben will, kann auf eine Bewegungssteuerung zurückgreifen. Bei dieser Variante wählen wir Entscheidungen nicht per Druck auf eine Taste aus, sondern wir schwenken das Gamepad einfach in die gewünschte Richtung. Der Bewegungssensor der Playstation 4 registriert auch beim Erkunden der Umgebung stets genau, wie der Controller gerade gehalten wird und die Spielfigur bewegt den Kopf und die Taschenlampe in dieselbe Richtung. Dieses Prinzip wird auch beim Schießen auf Objekte eingesetzt, wo es darum geht, den Controller innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters in die gewünschte Richtung zu drehen und zu feuern, sobald das Ziel erreicht ist. Diese Herangehensweise mag zunächst gewöhnungsbedürftig scheinen, doch 'Until Dawn' bietet ausreichend Gelegenheit, um ein Gefühl dafür zu entwickeln. Unterm Strich klappt die Bewegungssteuerung erstaunlich gut und bringt deutlich mehr, als sie schadet. Selbst bei einer eher seitlich stehenden Konsole gab es während des Tests keine groben Probleme. Klar, vereinzelt kann die Handhabung etwas bockig sein, aber eigentlich nie in Situationen, die vom Zeitfenster her besonders knapp wären. Dass wir beim Testen bei jeder Schießübung getroffen haben, spricht aber definitiv für die Funktionalität der Bewegungssteuerung. Wer auf ein noch immersiveres Erlebnis hofft, der sollte nicht davor zurückscheuen.
Hervorragender Ton
Ein Horror-Spiel braucht natürlich auch einen spannungsaufbauenden Soundtrack. Eben so eine cineastische Tonuntermalung findet man bei ‘Until Dawn‘. Herrlich wird immer wieder die Spannung aufgebaut und direkt schnellt der Puls hoch. Manchmal endet dieses Crescendo in komplett gewöhnlichen Momenten, manchmal passiert dann wirklich etwas. Supermassive Games findet auch hier die ideale Mischung ohne aufdringlich zu wirken.
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Englisch: Topp - Deutsch: Okay |
Ähnlich hervorragend ist die englische Sprachausgabe gelungen. Die Rollen sind ideal gecastet und als Resultat hat man eine hervorragende Vertonung, die einem Kino-Film nichts nachsteht. Und wie sieht es mit der deutschen Fassung? Zwar hinterlässt sie einen sehr professionellen Eindruck, reicht aber - wie so oft - nicht an das englische Original heran. Intensität und Glaubwürdigkeit gehen bei einigen Dialogen etwas verloren und manchmal verliert die Charakterisierung. Deutlich spürbar wird das u.a. beim deutschen Sprecher von Josh, was besonders schade ist, zumal Rami Malek eine sehr engagierte Performance liefert, und dieser von der Vergangenheit schwer gezeichneten Figur viel Tiefe verleiht. Somit wird empfohlen, 'Until Dawn' in der englischen Fassung zu spielen und bei Bedarf die deutschen Untertitel zu aktivieren. Im Spielmenü lässt sich die Sprachausgabe unkompliziert wechseln.
Wunderschön trotz kleiner Mängel
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Malerisch und unheimlich |
‘Until Dawn‘ brilliert auch durch die herausragende Grafik. Die verschneite Umgebung sieht wunderschön aus, gleichzeitig wirkt alles düster und bedrohlich. Die Schauspieler wurden dank Motion- und Face-Capturing zudem ganz hervorragend aufgenommen. Selbst kleinste Bewegungen im Gesicht sind sichtbar und die virtuellen Pendants sind wie aus dem Gesicht geschnitten. Trotzdem hat das System manchmal Schluckauf. Öffnet der Charakter in einer Zwischensequenz die Tür, dann sieht es hervorragend aus. Öffnet jedoch der Spieler die Tür, wirkt die Animation manchmal deutlich abgehackter. Natürlich liegt hier auch die Spielmechanik zu Grunde. Doch manchmal sieht man zudem eine unpassende Gesichtsmimik oder stolpert über gläserne Augen. Die Reflexionen in den Augen sehen teilweise derart unnatürlich aus, dass man meinen möchte, dass man hier Puppen spielen lässt. Schade, denn das hätte man doch besser machen können, trübt aber im Großen und Ganzen die optische Qualität kaum.
Die Kombination von Ton, hervorragender Optik und andauernde Spannung weiß eigentlich von Anfang an zu überzeugen. Einzig manche zickigen Charaktere nerven an ein paar Stellen, aber das vollkommen bewusst. Ebenso ist der B-Movie Charme von Teenie Horror Streifen wie z.B. ‘Scream‘, ‘Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast‘ oder ‘Texas Chainsaw Massacre‘ gut eingefangen und nicht nur Fans des Genres werden in die spannende und mysteriöse Geschichte gesogen. Gleichzeitig kann man sich zumindest mit den meisten Charakteren gut identifizieren und will sie auch überleben lassen. Das ist leider gar nicht so leicht und lädt zu mehrfachem Durchspielen ein! Nicht vergessen: Geht niemals alleine wohin und „Er ist hinter dir“!

Fazit von Peter Färberböck:
Hohe Erwartungen lasteten auf den Schultern dieses Spiels. Eine qualitativ hochwertige Schauspieltruppe, hervorragende Grafik und das Versprechen verschiedenster Spielpfade. Dazu kommt dann noch das Budget von Sony. ‘Until Dawn‘ schafft es die Erwartungen zu erfüllen und zum Teil sogar zu übertrumpfen. Selten fesselt ein Horror-Spiel so sehr. Selten kann man sich mit mehreren Charakteren eines Spiels ganz gut anfreunden – aber gleich alle acht? Na gut, Emily ist schon sehr zickig, aber es ist nun mal ein Teenie Horror Spiel. Die tolle Atmosphäre schafft es immer wieder noch etwas draufzugeben und dank mehreren Bedrohungen ist sie auch von Beginn an nicht durchsichtig. Manches vermutet man vielleicht, aber bei weitem nicht alles. Noch gibt es nicht viele Pflichtspiele für Adventure-Fans auf der PS4, aber ‘Until Dawn‘ gehört definitiv dazu. Wer dem Horror-Genre nur ein bisschen abgewinnen kann, wird hier auf seine Kosten kommen. Für mich geht das Ganze sogar noch weiter und ‘Until Dawn‘ ist bis jetzt das beste Spiel auf PS4. Angst und Bangen garantiert. Herausragend!
Fazit von Matthias Glanznig:
Bei 'Until Dawn' kann man sich prima darauf einstellen, was serviert wird. Wer bessere B-Movie-Horror-Kost feiert und mit der Spielphilosophie von Studios wie Telltale und Quantic Dream keine Probleme hat, der dürfte dieses Game sofort ins Herz schließen. Die Präsentation ist überragend und die gruselige Atmosphäre wurde sehr stimmig und gut in die interaktive Welt übertragen. Selbst an freien Erkundungsmöglichkeiten fehlt es nicht und einige Schauplätze sind erfreulich umfangreich geraten, was die Nerven ordentlich strapazieren kann. Abgesehen davon wurden die Entscheidungen organisch in die kompetent inszenierte, unterhaltsame Story integriert, die in vieler Hinsicht wie eine erstklassige Hommage an typische Horror-Streifen der letzten 20 Jahre schmeckt. Stellt man sich darauf ein, wartet hier ein echter Volltreffer. Sehr empfehlenswert!
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Until Dawn
- Entwickler
- Supermassive Games
- Publisher
- Sony
- Release
- Remaster für PC/PS4 ab 4. Oktober 2024
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.supermassivegames.com/games/until-dawn
- Sprachen
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- Stichwörter
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