Rund zwei Jahre nach der erfolgreichen Kickstarter-Kampagne ist Cherrymochis 'Tokyo Dark' fertig. Geboten wird ein eher ungewöhnlicher Mix aus Point&Click-Gameplay und Visual-Novel-artigem Storytelling. Diese Rezeptur wird dann besser verständlich, wenn man weiß, dass hinter dem kleinen Studio aus Tokyo das Ehepaar Maho und Jon Williams stecken: Während Maho aus Japan stammt, kommt Jon Williams aus England. Eben diese kulturelle Verbindung findet sich an vielen Ecken und Enden in 'Tokyo Dark' wieder. Im Test sehen wir uns genauer an, wie gut das bei diesem Mystery-Krimi mit Horror-Elementen funktioniert.

Im Schatten der Vergangenheit
Im investigativen Anime-Mystery-Adventure 'Tokyo Dark' steuern wir Detective Ayami Itō, die während einer verregneten Nacht auf der Suche nach ihrem verschwundenen Partner ist. Beide verbindet weit mehr, als nur eine berufliche Beziehung, was die Angelegenheit für sie nicht einfacher macht, denn es geht um Leben und Tod.
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An diesem Schauplatz beginnt alles |
Erste Hinweise legen eine Verbindung zu einem früheren Fall nahe, die es nach den Gesetzen der Logik nicht geben dürfte und diese Nacht entwickelt sich bald darauf zum blanken Horror. Die Polizistin fällt es fortan immer schwerer, zwischen Einbildung und Realität zu unterscheiden und ihre berufliche Situation macht die Sache nicht einfacher.
Im Zuge eigenmächtiger Ermittlungen in Tokio und Umgebung (u.a. besuchen wir real existierende Schauplätze wie Shinjuku und Kamakura), wird die junge Frau immer tiefer in eine Vergangenheit hineingesogen, die sie lieber vergessen würde. Auch ein alter japanischer Mythos spielt dabei eine Rolle und sie bekommt es mit mysteriösen Personen zu tun, deren Macht nicht zwangsläufig von dieser Welt zu sein scheint.
Point&Click trifft Visual Novel
Gesteuert wird 'Tokyo Dark' in gewohnter 2D-Point&Click-Manier per Maus. Allerdings passiert die Fortbewegung der Spielfigur nur nach links und nach rechts, wie bei einem Sidescroller. Ähnliches kennen Adventure-Fans vielleicht von 'The Cat Lady', das dem Indie-Studio, nebst größeren Titeln wie 'Heavy Rain', als Inspirationsquelle gedient hat.
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Die U-Bahn ist eine Metapher für die Situation der Protagonistin, die sich manchmal einer fremden Macht ausgesetzt fühlt |
Im Gegensatz zu westlichen Point&Click-Adventures ist mehr Text zu lesen und obwohl kleine Rätsel relevant sind, stehen Dialoge und Entscheidungen stärker im Mittelpunkt. Auch die Tatsache, dass es elf Enden gibt, ist eher typisch für Visual Novels. Eine englische Sprachausgabe fehlt, was angesichts der Textmenge nicht weiter verwundern sollte. Die Spielzeit ist mit sieben Stunden im durchschnittlichen Bereich angesiedelt, aber es gibt ein paar narrative Verzweigungen. Beim ersten Durchspielen hat man längst nicht alles gesehen. Deutsche Untertitel sind übrigens für später geplant.
Interessant gelungen ist ansonsten der Soundtrack von Matt „Bison“ Steed, dem Frontmann der Britischen Band "Reign of Fury". Er versteht sich gut darin, elektronische, experimentelle und orchestrale Elemente miteinander zu verbinden, um eine bedrohliche Stimmung zu erzeugen, die dennoch mit dem 2D-Anime-Look harmoniert.
Simple Rätsel und Entscheidungen auf Zeit
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Die meisten Herausforderungen laufen auf Exploration und Dialoge hinaus - hier jedoch gibt es ein zugrundeliegendes Prinzip zu erkennen |
Viele Ziele in 'Tokyo Dark' sind auf zwei Arten zu erreichen. Beispielsweise stellt man beim Betreten der Kanalisation fest, dass es bei einem Abgang steil hinunter geht. Will man es riskieren, oder lieber einen sichereren Weg suchen? Der Rätselweg erfordert für gewöhnlich, dass man sich in der Umgebung gründlicher umsieht. Auf diese Weise findet man ein Foto von einer bekannten Person mit einem Seil und kann daraus ableiten, wen man nach dem Seil fragen sollte. Ein Großteil der Herausforderungen läuft ähnlich ab. In einem kurzen Abschnitt gibt es zudem ein Rätsel, wo Lichtquellen in der richtigen Reihenfolge zu aktivieren sind. Komplexer wird es kaum und es gibt kein Inventar.
Ein weiteres wiederkehrendes Elemente in 'Tokyo Dark' sind Entscheidungssituationen auf Zeit, bei denen es darum geht, in kurzer Zeit die passenden Dialogoptionen zu wählen, ehe jemand umgebracht wird, oder dergleichen. Nicht immer hat man das Gefühl, dass es überhaupt ein positiver Ausgang möglich, was aber zur Situation der Protagonistin passt und das Gefühl der Hilflosigkeit geschickt untermauert. Irritierend dabei ist allerdings, dass der kurze Timer immer wieder durch lange innere Monologe unterbrochen wird. Das reißt einen doch ein bisschen aus der dramatischen Situation heraus.
Das S.P.I.N.-System
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Damit die Spielfigur wohlauf bleibt, können wir sie Medikamente einnehmen lassen |
Entscheidungen wirken sich häufig auf die S.P.I.N.-Attribute von Ayami Itō aus. Damit werden die geistige Gesundheit (Sanity), Professionalität, Investigation/Ermittlung und Neurosen der Spielfigur erfasst. Wer besonders gründlich die Umgebung erkundet, hat schnell viele Investigationspunkte gesammelt. Wer sich im Dienst einen Drink in einer Bar gönnt, sollte nicht auf Bonuspunkte für Professionalität spekulieren.
Mitunter stehen wir vor Entscheidungen, die so oder so, negative Auswirkungen auf diese Attribute haben: Schleimt man sich ein, um eine Information herauszukitzeln, wirkt sich das zuweilen negativ auf Bereiche wie Professionalität aus. Schüchtert man dieselbe Person mit Gewalt ein, geht es flotter, kann aber andere Konsequenzen mit sich bringen und einige Gesprächspartner sieht man später wieder. Es besteht sogar die Möglichkeit, Medikamente zu nehmen, was nachvollziehbarer Weise Abzüge im Bereich Investigation bringt, aber dafür anderswo Ausgleich verschafft. Sinkt die geistige Gesundheit zu weit hinunter, kann das fatale Folgen für den Ausgang des Abenteuers haben.
Die Grundidee bei den S.P.I.N.-Attributen ist spannend, leider bleibt es nicht viel mehr als ein nettes kleines Gimmick. Um fatale Werte zu erreichen, die einen Unterschied machen könnten, muss man schon sehr gezielt darauf hinarbeiten (und selbst dann ist das gar nicht so einfach). Für gewöhnlich kann man diese Werte getrost ignorieren.
Mehrere Enden und NG+
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Nach dem ersten Durchspielen, steht uns ein NG+-Modus mit mehreren Speicherständen zur Verfügung |
Wie bereits erwähnt, gibt es elf Enden. Zumindest an zwei Stellen im Mystery-Adventure muss man sich entscheiden, welchen Weg man weitergehen möchte. Beispielsweise gibt es zwei Spuren, von denen man nur eine folgen kann. Leider ist in dieser Situation nicht wirklich nachvollziehbar ist, warum man nicht auch beide Spuren untersuchen kann.
Undurchdachte Aktionen können dazu führen, dass wir uns bei der Polizei nicht mehr blicken lassen sollten, was ein paar Situationen in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen kann. Leider neigt das Spiel aber vermehrt dazu, den Entscheidungsfreiraum des Spielers gezielt einzuschränken. Das zeigt sich auch bei der Umgebungskarte, die anfänglich zwar relativ offen ist, aber später immer klarer die Richtung angibt.
Bei den mehreren Enden ist zu bedenken, dass nicht alle zufriedenstellend sein werden. Im Gegenteil, es ist möglich, dass das Ende wie ein Versagen wirkt. Da im Hauptspiel nur automatisch gespeichert wird, bleibt dann lediglich ein zweiter Durchgang, will man ein „besseres“ Ende erreichen. Dafür haben die Entwickler einen New-Game-Plus-Modus vorbereitet, bei dem längere Gespräche sich vorspulen lassen und manuelles Speichern in jedem Abschnitt erlaubt ist. Allerdings ist fraglich, ob jeder Spieler ausreichend motiviert sein wird, um hier mit zahlreichen Speicherständen herumzuexperimentieren.
Solide Anime-Umsetzung
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Die 2D-Grafik wirkt zwar nett, doch die schwarzen Ränder sehen nicht immer hübsch aus |
Die Visual-Novel-Wurzeln sind deutlich an der simplen, aber durchaus netten 2D-Grafik zu erkennen, bei der sämtliche Objekte in der Umgebung mit einer schwarzen Umrandung versehen wurden, wie auch dem gewöhnungsbedürftigen Einsatz von Humor. Da landet man schon mal in einer quietschbunten Katzen-Imbissbude, wo einen die Kellnerin im passenden Outfit gekleidet begrüßt und kein bisschen zu Wort kommen lässt.
Überhaupt sind putzige Katzen sehr präsent in 'Tokyo Dark'. Trotz solcher und anderer putziger Exkurse, schafft es das Mystery-Adventure aber erstaunlich gut, die bedrohliche Grundstimmung aufrechtzuerhalten. Dazu tragen neben dem Soundtrack auch die professionell visualisierten, trickfilmartigen Anime-Zwischensequenzen von Graphinica bei, von denen es ruhig mehr hätte geben können. Diese lockern die Optik auf, die ein bisschen darunter zu leiden hat, dass es nicht allzu viele verschiedene Schauplätze gibt, die man in der Regel mehrfach besuchen muss.
'Tokyo Dark' startet richtig gut hinein ins Geschehen und motiviert sehr zum Weiterspielen. Nach dem doch etwas gemütlicherem Mittelteil wird es im letzten Drittel wieder spannend. Jedoch wird das nicht zwangsläufig zufriedenstellende Ende bei einigen einen negativen Beigeschmack hinterlassen und der New-Game-Plus-Modus dürfte nicht für jeden als Argument reichen, um das investigative Anime-Abenteuer nochmal spielen zu wollen. Solche Problempunkte können für gemischte Gefühle sorgen. Das ist richtig schade, denn über weite Strecken ist 'Tokyo Dark' ein gutes Adventure, mit einer spannenden Mystery-Story, die immer wieder recht geschickt Fiktion, reale Orte und japanische Mythen miteinander verbindet.
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Tokyo Dark
- Entwickler
- Cherrymochi
- Publisher
- Square Enix Ltd.
- Release
- 7. September 2017
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.tokyodark.com
- Art
-
Independent
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