Das Hamburger Studio KING Art hat sich für 'Iron Harvest' ein besonderes Setting herausgesucht: Dieselpunk. Die Technik der Zwischenkriegszeit mit rauchenden Diesel-Motoren wird bis zu "retro-futuristischen" Maschinen hochgezüchtet. Hier kommt mit den Mechs das nächste Element, das sie sich herausgepickt haben. Riesige Läufer und fahrende Kampfmaschinen sind im Krieg. Der Dieselpunk-Mecha-Stil ist perfekt. Ach, Nikola Tesla hat auch seine Finger im Spiel. In dieser 1920+ alternativen Geschichte des Polen Jakub Różalski ist der Polnisch-Sowjetische Krieg von 1919 bis 1921 etwas anders verlaufen und die drei Nationen Polania, Rusviet und Saxony sind in 'Iron Harvest' weiter in einem großen Konflikt. Wem das bekannt vorkommt, kennt wahrscheinlich das Brettspiel 'Scythe', das genau dieses Setting verwendet. Damit das Spiel nicht nur ein Setting hat, bedient sich KING Art auch noch bei der Echtzeit-Strategie-Reihe ‘Company of Heroes‘ in Sachen Gameplay. Die Story steht aber deutlicher im Vordergrund. Deswegen ist es ein Storyteller.

Drei Reiche im Krieg

Komplexe Story, klischeehafte Bilder

So spielen Frauen eine prominente Rolle im Krieg. Der Rusviet-General Zhukov entspricht auch seinem historischen Bild – Stalin sah ihn als politische Gefahr. Er nimmt den "Böser Russe"-Stereotyp in sich auf, das Heer ist da schon vielseitiger beleuchtet. Gerade die Saxonier-Kampagne nimmt ebenso geschichtliche Prozesse auf (Niedergang der Monarchie) und weiß mit den verschiedenen Fraktionen zu spielen. Aus dem zähen, langwierigen Brei der anfänglichen Polonia-Kampagne wird so eine recht interessante Geschichte, die einiges über Kriegswahn, Kriegsmüdigkeit und Nationalismus zu sagen hat. Selbst Kriegsverbrechen – Stichwort Giftgas – finden erstaunlicherweise Erwähnung. Wären die Stereotype vor allem anfangs nicht so dick aufgetragen, wäre die Geschichte tatsächlich Oberklasse. Im Rahmen der Echtzeit-Strategie ist sie das aber ohnehin.
Einmal Echtzeitstrategie, so wie immer

Den Multiplayer-Teil haben wir nicht getestet – der Storyteller-Part war für uns ausreichend. Angesichts der Spielzeit von 25-40 Stunden ist er auch ein entsprechender Brocken. Gerade jene, die eher die Story als das Gameplay interessiert, sollten auf den leichtesten Schwierigkeitsgrad setzen. Speichern und Laden und etwas längere Missionen sind sonst nicht zu vermeiden. Die kürzere Spielzeit tut dem Pacing auch noch gut. Allgemein ist das Gameplay nicht unbedingt die Stärke des Spiels, sondern eher die Pflicht. Die Geschichte ist die Kür.
Einmal hervorragend, dann wieder mäßig: Die Inszenierung

Die Zwischensequenzen sind jedoch gemischt. Die Render-Sequenzen erinnern an den KING Art Standard aus 'The Raven Remastered' oder 'Die Zwerge' – nur dieses Mal noch etwas schöner. Sie sind auch ordentlich vertont und man kann sie entweder komplett auf Deutsch oder semi-realistisch in der jeweiligen Sprache der Nation aktivieren (Polnisch, Russisch und Deutsch). Das führt zwar dazu, dass ein Großteil der Polonia-Kampagne auf Polnisch ist und sich echt authentisch und fantastisch anhört – Untertitel sei Dank auch verständlich. Gleichzeitig kommt es zu etwas schrägen Begegnungen, wo ein Saxonier und ein Rusviet aufeinandertreffen, sie in der jeweiligen Sprache sprechen, aber perfekt verstehen. Der Modus ist sicherlich nicht für alle Geschmäcker geeignet. Ein großer Teil der Zwischensequenzen ist aber auch wie im Genre üblich in In-Game-Grafik zu sehen. Die sind zwar gut aus, aber gerade Nahaufnahmen zeigen dann die Schwächen im Detail. Vor allem die fast nicht vorhandenen Animationen zeugen dann aber von den Problemen dieser Wahl.
Trotzdem sind der Sound und die Grafik keineswegs die Schwäche des Spiels. Geschütze wummern schön auf den Ohren, die Stimmen sind sehr gut eingesprochen und grafisch gibt es immer etwas zu bestaunen. Selbst der Soundtrack wechselt je nach gespielter Fraktion von polnischer Volksmusik bis zu orchestralem, epischen Crescendi, die stark an Wagner erinnern. Die anfänglich langsame und verstörend klischeebehaftete Story macht den Einstieg nicht einfach. Gerade das Gameplay, das nur wenig taktische Möglichkeiten zulässt ist aber die tatsächliche Schwäche des Spiels Deswegen sprechen wir hier nochmal die Empfehlung aus, es auf "leicht" zu spielen. Die Geschichte ist es wert.
Anfangs tat ich mich mit 'Iron Harvest' sehr schwer. Die Stereotype haben mir das Spiel fast kaputt gemacht. Nach der Hälfte der ersten Kampagne wollte ich fast abbrechen – dann wäre hier auch eine deutlich schlechtere Wertung und ein negativeres Fazit gestanden. Ab dann wird die Geschichte aber viel besser. Die Dramatik zieht an, das fiktive Szenario spielt seine Stärken aus. Einzig das Gameplay mag nicht ganz so mithalten. Im Endeffekt war es dann nochmal das Runterschalten des Schwierigkeitsgrads, das den Spielspaß bei mir noch einmal deutlich erhöhte. Statt vorsichtigem, langwierigem Spielen war es dann eher eine recht geradlinige Materialschlacht. Es war noch immer nicht völlig trivial, aber die Geschichte stand im Vordergrund. Es ist eine Art Story-Mode, wie aus anderen Spielen bekannt. Das reicht, denn gerade das ist der Star des Spiels. Der Multiplayer und das Gameplay sind mir dann relativ schnell egal gewesen. Ich wollte die Geschichte zu Ende spielen und dazwischen ein wenig Mechs beim durch Häuser durchbrechen zusehen. Dann kann das Spiel doch nicht alles verkehrt gemacht haben, oder? Das Gameplay ist solide genug, dass die Story noch gut zu genießen ist. Das hat mir gereicht und wer eine wendungsreiche Geschichte in einer etwas anders verlaufenden Zwischenkriegszeit erleben möchte, darf hier getrost den Dieselmotor anwerfen. Ganz ohne Umweltbedenken.
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Iron Harvest
- Entwickler
- KING Art
- Publisher
- KING Art
- Release
- 1. September 2020
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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4 Kommentare
King Art nimmt dieselben Artworks als Vorlage wie schon Scythe. Glaube aber, dass das zwei unterschiedliche Universen sind.
Wer aber auf diese Optik steht, sollte defintiv zum Brettspiel greifen.
Frage mich sowieso, weshalb Ihr hier nicht auch Storyteller aus dem Brettspielsegment vorstellt. Da gibt es mittlerweile so einige. Wobei Scythe natürlich kein Storyteller ist.
Da wäre z.B. Stuffed Fables oder Mice and Mystics, Aftermath oder Gloomhaven. etc. etc.
Ich glaube beiden nehmen das 1920+ Setting von Jakub Różalski und machen das ihr Ding daraus.
Scythe kenn ich aber leider nur von kurzen Blicken über den Zaun.
'Iron Harvest' ist story-mäßig aber ganz gut. Das Gameplay ist nur nicht so großartig, wie ein Company of Heroes das vorgemacht hat.