Storm hat geschrieben:Mr.Brain hat geschrieben:Wir feiern am diesjährigen 3. Oktober nicht nur den Tag der deutschen Einheit, sondern auch das Ende der Reperationszahlungen an die Siegermächte des ersten Weltkrieges (1914-1918). Damit wird ein Schlusstrich unter den Unfriedensvertrag, dem Diktatfrieden von Versailles gelegt, der eine formale Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des ersten Weltkrieges vorgeschrieben hatte. Wer sich mit Geschichte auskennt, der weiß, das diese Anschuldigung eine historische Lüge ist und nicht den damaligen Tatsachen entspricht. Dennoch musste Deutschland aufgrund von Versailles furchtbar büßen. Das Land wurde in der Folge von den Siegermächten finanziell ausgebeutet und teilweise sogar besetzt gehalten (Rheinland von franz. und belg. Truppen). Die Folge waren Massenverarmung, verhungerte Kinder, die Weimarer Hyperinflation und ein Parlament, das aus vielen zersplitterten Parteien (Mehrparteien-System) bestand und ohne fehlende 5-Prozentklausel defakto auch nur ungenügend Regierungsfähig war. Begünstigt durch die Weltwirtschaftskrise in 1929 kamen dann die Nazis schrittweise an die Macht. Man kann daher mit Fug und Recht behaupten, dass der Versailler Vertrag für den Ausbruch des zweiten Weltkrieges maßgeblich verantwortlich war, weil man Deutschland in den 20er Jahren wirtschaftlich erdrosselte und dadurch die Menschen in die Arme der Leute trieb, die Brot, Arbeit und ein neues, nationales Selbstbewusstsein versprachen. Konkret Hitler und die NSDAP. Wer also verstehen will, warum es zum zweiten Weltkrieg gekommen ist, der muss sich Versailles und seine Folgen, die sog. Zwischenkriegszeit 1919 bis 1939 defakto näher anschauen. Das wird in der Schule nur bedingt getan, weil man sich ja nicht eingestehen möchte, dass die damaligen Siegermächte von 1919 alles andere, aber keine Weisenknaben waren. Diese hatten genauso viel Dreck am Stecken und waren allesamt mit Freude und Elan dabei, als es 1914 galt seine imperialistischen Machtgelüste durch einen Krieg zu befriedigen. Aber wie so oft schreiben die Sieger die Geschichte und schwärzen dabei die Weste des unterlegenen Gegners schwärzer, als die eigene.
Stimmt, nur darf man dabei nicht vergessen, dass es andersherum genauso war. Deutschland hätte im Falle eines Sieges ebenfalls sehr, sehr harte, wenn nicht noch härtere Bedingungen gestellt. Das sieht man daran, dass nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870-71 Elsass-Lothringen annektiert wurde und Frankreich starke Reparationen leisten musste. (Ich meine die vergoldeten Kanonen der Siegessäule wurden u.a. damit finanziert, auch zahlreiche städtebaulichen Veränderungen in Deutschland wurden in dieser sog. "Gründerzeit" von den Reparationen bezahlt.
Zitat Wikipedia: "Frankreich verzichtete im Vorfrieden von Versailles auf größere, damals überwiegend deutsch- oder zweisprachig geprägte Gebiete des Elsass und Lothringens. Diese gegen den Willen Bismarcks erfolgten Abtretungen waren Forderungen des preußischen Militärs geschuldet, denen strategische Erwägungen zu Grunde lagen.[4] Bei der Grenzziehung spielten Sprachgrenzen daher keine Rolle, auch Gebiete mit französischsprachiger Bevölkerung in Nordlothringen (mit Metz) wurden vom neuen Deutschen Reich verlangt. Außerdem musste Frankreich eine Reparation in Höhe von fünf Milliarden Francs leisten. Dieser Reichskriegsschatz wurde zu einem kleinen Teil (120 Mio.) im Juliusturm der Zitadelle Spandau eingelagert. Dieser fiel nach Ende des Ersten Weltkrieges zurück an Frankreich.
Der größere Anteil der hohen Kriegsentschädigungen war einer der Auslöser des Booms der Gründerzeit. Unter anderem wurden mit ihnen Infrastrukturmaßnahmen im ganzen Deutschen Reich finanziert (Poststationen in Ostpreußen, Kirchen und Schulen in der Pfalz und im Elsass sind heute noch sichtbare Zeichen). Im Gegenzug wurde die französische Wirtschaft durch die Aufbringung der Kriegsentschädigungen in ihrer Entwicklung behindert. Das Deutsche Reich wurde in der Folge die größte Binnenvolkswirtschaft der Welt.")
Danke für deine Antwort. Du musst natürlich auch beachten, dass in Elsass-Lothringen zu 90% deutsche Muttersprachler beheimatet waren. Das Gebiet gehörte ja in der Vergangenheit dem hl. römischen Reich dt. Nation, also dem ersten dt. Reich, an. Es wurde dann im 17. Jahrhundert schrittweise von Frankreichs Sonnenkönigen erobert und annektiert. Dennoch hat diese Region historisch betrachtet, schon immer eine hohe Deutsch-Affinität vorzuweisen. Napoleon der Erste hat dann mit der Besiegelung des Rheinbundes 1806 das tausendjährige Reich deutscher Nation beendet und in der Folge entstanden unzählige Fürstentümer. Diese befanden sich permanent untereinander im Krieg und waren demzufolge leicht zu kontrollieren. Zumal auch noch Zollschranken und unterschiedliche Währungen bestanden, die der Wirtschaftskraft des zersplitterten Deutschlands überhaupt keine Entfaltungsmöglichkeit gaben.
Man darf dann nicht vergessen, daß der Deutsch-Fränzösische Krieg von 1870/71 primär von Frankreich ausgelöst worden war, u.a. mit der Hoffnung, weitere Landgewinne gegenüber des Rheins zu erzielen. Also auf Kosten der dt. Fürstentümer. Dabei hat jedoch Napolen der Dritte nicht mit dem Patriotismus Deutschlands gerechnet. Unter der Flagge Preußens zogen dann die Südstaaten gegen Frankreich und besiegten diese zu Recht. Wir können uns glücklich schätzen, dass durch Preußen dieser Befreiunggschlag gelungen ist und Deutschland in der Folge zum modernsten Staat der damaligen Zeit aufsteigen konnte.
Storm hat geschrieben:
Ferner hatte der preußische König die Frechheit, sich im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser krönen zu lassen. Eine Geste, die die Franzosen in ihrem Ehrgefühl massiv kränkte, zur nachhaltigen Vergiftung der deutsch-französischen Beziehungen beitrug und zur Retourkutsche von 1919 führte.
Bismarck und Wilhelm I. haben den Zeitpunkt richtig erkannt und das schwache, zersplitterte Deutschland zum zweiten dt. Reich geeint. Der Ort im Spiegelsaal zu Versailles hat da natürlich Symbolkraft und die Franzosen sicherlich auch stark getroffen. Ich sehe jedoch nicht die Reperationen und die Reichsausrufung zu Versailles als Hauptargument für 1919, sondern hauptsächlich die Landnahme von Elsass-Lothringen. Hier gab es in der Folge immer Spannungen, die dazu führten, dass sich Frankreich mit England gegen Deutschland verbündete, um sich diese Gebiete wieder zurückzuholen. Allerdings war die Einheit Deutschlands 1871 auch sehr wichtig und vor allem angebracht. Denn davor gab es immer wieder Streitigkeiten seitens Ausland um deutsches Gebiet, Kleinstaaterei und niedriges Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Dank Preußen konnte Deutschland in der Folge zur Weltmacht aufsteigen. Dank einem guten Rechtsstaat, Sozialsystem, Bildungssystem etc. zeitweise sogar zum modernsten Staat.
Außerdem fußt der Wirtschaftsboom nach 1871, also der Einheit Deutschlands zum zweiten dt. Reich primär auf dem einheitlichen Währungssystem (der Mark), dem Wegfall der Zoll- und Handelsschranken innerhalb Deutschlands sowie den strategisch im Überfluss vorhandenen Rohstoffen Eisenerz und Kohle. Dies führte dazu, dass das zweite dt. Reich im Rahmen der industriellen Revolution in der Stahlproduktion bis 1910 die Großmacht England um den Faktor zwei überholt hatte. Deutschland war Europas Wirtschaftsmacht Nr. 1, was auch durch viel Arbeit und Fleiß zustande kam. Das hat natürlich in der Folge auch die Neider auf den Plan gerufen. Vor allem England, die ja schon immer mit unlauteren Mitteln wie Krieg (Balance of Power) gegen ihre Konkurrenten vorgegangen sind. Hätten sie eben härter arbeiten müssen.
Die Reperationen waren zwar ein schönes Zubrot, sie werden jedoch überschätzt. Ein großer Teil davon wurde auch für die Münzprägung (u.a. 20 Mark Prägung mit 900er Gold) aufgewendet. Außerdem muss man beachten, dass sich Deutschland nicht an den französischen Kolonien vergriffen hat. 1919 wurden hingegen die dt. Kolonien unter den Siegermächten aufgeteilt. Frankreich konnte sich also die von Deutschland verhängten Reperationen durch eine entsprechende Ausbeutung seiner verschonten Kolonien (insbesondere Indochina) leisten, was Deutschland nach 1919 nicht möglich war. Hier hat das zweite dt. Reich in meinen Augen mit Maß gehandelt. Elsass-Lothringen hat jedoch das Verhältnis auf Dauer vergiftet und damit den entscheidenden Grund für den ersten Weltkrieg definitiv mitgeliefert. Völkerrechtlich fühlte sich das Elsass jedoch schon immer Deutschland angehörig, was sich ja auch in der Muttersprache (90% Deutsch) niederschlug.
Storm hat geschrieben:
Auch darf nicht vergessen werden, was die Deutschen der jungen Sowjetunion im Friedensvertrag von Brest-Litovsk nur 1 Jahr vor Versailles abverlangte.
Zitat Wikipedia : " Sowjetrussland verzichtete auf seine Hoheitsrechte in Polen, Litauen und Kurland. Die Zukunft dieser Gebiete sollte mit dem Deutschen Reich im Einvernehmen mit den dortigen Völkern nach dem Selbstbestimmungsrecht geregelt werden. Estland und Livland sowie fast das gesamte Gebiet Weißrusslands (westlich des Dnjepr) blieben von deutschen Truppen besetzt, die Ukraine und Finnland wurden als selbstständige Staaten anerkannt. Die Mittelmächte verzichteten auf Annexionen und Reparationen. Russland verlor durch diesen Friedensvertrag 26 % des damaligen europäischen Territoriums, 27 % des anbaufähigen Landes, 26 % des Eisenbahnnetzes, 33 % der Textil- und 73 % der Eisenindustrie sowie 73 % der Kohlegruben. Die Randvölker des ehemaligen russischen Kaiserreiches vertauschten die russische Herrschaft mit dem Protektorat der Mittelmächte.[11] Alle abzutretenden Gebiete umfassten insgesamt 1,42 Millionen km², auf denen rund 60 Millionen Menschen,[12] mehr als 1/3 der Gesamtbevölkerung des einstigen Russischen Reiches, lebten.
Der Abschluss des Zusatzabkommens zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk, das am 27. August 1918 in Berlin unterzeichnet wurde, stellte zwar einen neuen Höhepunkt der Machtexpansion Deutschlands im Osten dar, setzte aber gleichzeitig den noch viel weitergehenden Annexionsplänen der OHL ein vorläufiges Ende.[13] Sowjetrussland verzichtete darin auf Estland, Livland und Georgien – welches eine kurze Phase der Unabhängigkeit erlebte – und verpflichtete sich entgegen den Bestimmungen in Artikel 9 des Friedensvertrages zu Reparationszahlungen in Höhe von sechs Milliarden Goldmark.[14] "
Die damalige Lage in Osteuropa war vergleichbar mit dem Balkan, der ja der eigentliche Auslöser für den ersten Weltkrieg war. Ein Vielvölkerstaat, der unabhängig werden wollte. Ein Pulverfass. Das war im Osmanischen Reich und in Russland damals auch nicht anders. Der Zar trat nur in den Krieg gegen Deutschland ein, weil erstens in 1890 seitens Deutschlands der Nichtangriffspakt mit Russland nicht verlängert worden war (aus Rücksicht ggü. Östereich) und zweitens, Russland eben 1914 sich kurz vor dem inneren Zerfall befand. Durch einen Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn hoffte dann der Zar, sein Land wieder einen zu können. Der Zar wollte ursprünglich nicht gegen seinen Vetter Wilhelm II Krieg führen, wurde aber letztendlich vom Militär dazu gedrängt. Russland wurde dann in der Folge u. a. auch wegen Meuterei im eigenen Stab, von den Achsenmächten zurückgedrängt und es kam nach der Oktoberrevolution zum Vertrag von Brest-Litowsk. Hier muss man sich dann natürlich die geopolitische Lage anschauen. Wir haben ein besiegtes Russland, das aus einem Multi-Kulti-Vielvölkerstaat bestand, der sich vom Mutterland Russland in die Unabhängigkeit lösen wollte. Es ist da nur logisch, dass Deutschland die besetzten Gebiete nicht wirklich verwalten konnte. So wurde u. a. den Polen in Aussicht gestellt, einen eigenen Staat zu gründen. Deutschland hat also das Recht der Selbstbestimmung auf diese besetzten Ostgebiete in Aussicht gestellt. Es wären dann vermutlich dt. Satelitenstaaten geworden, aber eine direkte Annektion dieser Gebiete hätte die bestehenden Probleme und den Unabhängigkeitstswillen der Völker letztendlich nur von Russland auf Deutschland und Österreich-Ungarn umverteilt. Darum wurde seitens der Mittelmächte die Unabhängigkeit forciert, welche sicherlich auch ohne den ersten Weltkrieg irgendwann zustande gekommen wäre. Auch auf dem Balkan und im Osmanischen Reich.
Storm hat geschrieben:
Also kann man festhalten, dass der Friedensvertrag von Versailles sicherlich einen starken kausalen Beitrag zum Ausbruch des 2. WK beigetragen hat und sicherlich kein Meisterwerk gewesen ist. Jedoch darf man nicht vergessen, dass es die Deutschen nicht anders handhabten.
Sehe ich anders. Das Ziel von Versailles bestand primär darin, die Alleinschuld der Mittelmächte am Ausbruch des ersten Weltkrieges festzuschreiben, also die Jacke der Siegermächte weiß zu waschen. Und weiterhin, die Wirtschaftsmacht und den Erfindergeist Deutschlands dauerhaft zu zerschmettern, damit zukünftig ungehindert auf den Weltmärkten agiert werden konnte. Denn Deutschland war davor trotz des "Made in Germany Bannspruchs" zum Qualitätsgaranten aufgestiegen und hatte vor allem in England viele Neider, die um ihre Pfründe fürchteten. Zumal der deutsche Kaufmann schon immer ein besseres Image in der Welt hatte, als der ausbeuterische, kurzsichtig agierende englische Kaufmann. So wurden unerhört hohe Reperationen verhängt, die kein Staat der Welt jemals hätte leisten können. Mit dem Ziel, Deutschland finanziell und wirtschaftlich ausbluten zu lassen. Außerdem wurden die Kolonien kassiert, ohne die Deutschland so gut wie keinen Rohstoffnachschub mehr hatte. Demzufolge gar keine Chance mehr hatte, sich dadurch der Reperationen wenigstens etwas zu entlasten. Das sind vollkommen andere Ausgangsbedingungen als seinerzeit 1871. In der Folge kam es zur Massenverarmumg, hoher Kindersterblichkeit, Weimarer Hyperinflation und einem Rechtsruck in der Bevölkerung. Das hat nicht mal Deutschland mit seinen Gegnern angestellt. Zumal diese auch noch unzählige Patente geklaut haben und sich dadurch auch an immateriellen Wirtschaftsgütern exorbitant bemächtigt haben. Natürlich ohne jemals für diese Aktion rechtlich belangt werden zu können. Wenn man sich die dt. Nobelpreisträger zwischen 1900 und 1939 so anschaut, wird man sehr leicht feststellen, dass aus dem einstigen Land der Dichter und Denker heute so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist. Mitverantwortlich der Patent- und Technologieraub nach dem ersten und etwas später auch zweiten Weltkrieg...