Pest, Mittelalter, Inquisition und Hundertjähriger Krieg. Das klingt fast wie ein Auszug aus einem Bingo über spannende, unverbrauchte Spieleszenarien. Asobo Studio aus Bordeaux widmet sich genau diesen vier Themen und lässt 'A Plague Tale: Innocence' in dieser historischen Mixtur spielen. Man nehme eine Prise Stealth-Gameplay, Exploration und eine Young-Adult-Geschichte und fertig ist der Kritiker-Liebling – so die Theorie. Was die Franzosen gemeinsam mit Publisher Focus Home Interactive richtig und falsch machen, das erfahrt Ihr im Storyteller-Review. Disclaimer: Aufgrund eines technischen Problems waren die Screenshots des Spiels unbrauchbar. Deswegen müssen wir ausnahmsweise auf offizielle Screenshots zur Illustration zurückgreifen. Wir bitten Euch um Entschuldigung.

Vom Krieg, der Inquisition und der Pest
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Alles beginnt mit einem harmlosen Waldspaziergang von Amicia und ihrem Vater. |
Aquitanien, 1348. Die Engländer sind ins Land eingefallen. Die junge adelige Amicia de Rune lebt dort am Land und ist mit dem Vater auf der Jagd. Währenddessen muss ihr Bruder Hugo abgeschottet im Chateau bleiben, denn er leidet seit seiner Geburt an einer schweren Krankheit. Ihre Mutter Beatrice versucht ihn mittels Alchemie zu heilen. Ein Unterfangen, das der Kirche nicht gefällt und bald Folgen haben wird.
Auf der Jagd stoßen wir als Amicia auf eine Art Pest. Eine beängstigende Fäulnis sitzt im Wald. Ihr Hund wird davon sogar völlig verschlungen – noch wissen wir nicht, dass riesige Rattenschwärme das Symbol für die Pest sein werden. Sie und ihr Vater flüchten zurück zum Chateau und begegnen dort der Inquisition. Im Tumult kommt die Familie um und Amicia muss in schleichender Manier ihren Bruder Hugo beschützen.
Durch die Krankheit kennen sie einander kaum und so entwickelt sich die Beziehung von hier an erst. Mittels Steinschleuder und allerhand alchemistischer Substanzen schleichen wir uns durch die Inquisition und auch durch die Engländer. Ziel der jungen Heldin ist der Alchemist Laurentius, der in der Nähe sein soll und Hugo möglicherweise heilen kann. Natürlich kommt alles anders und die zwei begeben sich auf eine Heldenreise durch die dreckige, feindliche Welt.
Mittelalter bedeutet Dreck, Religion und Elend
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Bildgewaltig wird das düstere Mittelalter gezeigt. Dreck, Ratten und Leichen sind überall. |
Durch 'A Plague Tale: Innocence' zieht sich das Mittelalterbild, das die Macher vermitteln wollen: Es ist dreckig und unhygienisch. Die Pest herrscht. Überall lauern Gefahren und die von der Inquisition verfolgte Familie de Rune ist nirgends willkommen. Amicia wird also völlig entmachtet. Hugo entdeckt erstmals die Außenwelt, denn durch seine unheilbare Krankheit war er zeitlebens weggesperrt.
Natürlich ist die Inquisition das unsägliche Böse, das mit Bluttransfusionen, Ratten und uralten Schriften aus der Justinianischen Pest (Oströmisches Reich, ab 541 n. Chr.) experimentiert. Die Adelige Amicia wurde natürlich zum Jagen mitgenommen und kann deswegen gut mit einer Steinschleuder umgehen. Dann wären da noch die metaphorischen Rattenschwärme nicht zu vergessen. Asobo Studio watet also nicht nur durch ein Meer von Schlamm und Ratten, sondern lässt kaum ein Klischee aus. Immerhin sind wir im Mittelalter, wie es auch in Serien und Filmen gern gezeigt wird: Das dunkle Zeitalter.
Mittelalter? Egal, Magie muss schon sein
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Die Steinschleuder ist stetiger Begleiter und ist für Ablenkungsmanöver, Alchemie-Feuer oder tödliche Kopfschüsse gut. |
Trotzdem ist der triste Mix am Anfang etwas Neues. Die Pest kommt zumindest in Spielen nur selten vor. Der hundertjährige Krieg in Europa ist noch viel seltener ein Thema. Spannende Zeiten, spannende Geschichte. Das wäre zumindest in den ersten Stunden der Fall. Später gleitet das Spiel immer weiter ins Fantastische ab und wird dadurch leider belanglos und ähnlich zu vielen anderen Spielen. Die Alchemie ist da noch nett gelöst und lässt Feuer anzünden, sie auslöschen oder sorgt für Ablenkung. Später wird aus der verletzlichen Amicia aber fast schon Lara Croft. Mit Upgrades wird sie zur halben Tötungsmaschine, die mittels Steinschleuder reihenweise Kopfschüsse austeilt. Nur die am schwersten gepanzerten Soldaten sind ein ernstzunehmender Gegner. Dafür gibt es aber die Ratten, die man einfach per Alchemie-Bomben zu diesen lockt und sie auffressen lässt.
Gegen Ende wird es sogar noch abstruser und fantastischer, denn dann fließen plötzlich Ideen aus Star Wars herein. Mit Macht- oder Magiefähigkeiten entledigt man sich dann ganzen Gegnerhorden. Leider werden deswegen einige Story-Stränge über Bord geworfen und viele Geheimnisse schlussendlich gar nicht aufgeklärt. Es wirkt wie ein Spiel, das aus mehreren Spielteilen notdürftig zusammengeflickt wurde.
Von Steinschleudern und Bosskämpfen
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Hier im Bild: Amicia, die Eine-Frau-Armee. |
Mit den genannten Mechaniken wird früh etabliert, dass das Schleichen nicht die einzige Methode ist und manche Kämpfe unausweichlich sind. Bereits in den ersten Spielstunden taucht so ein Bosskampf auf, wo man per Steinschleuder kurzerhand Lederriemen eines gepanzerten Soldaten treffen muss. Nach einigen Treffern folgt der tödliche Kopfschuss. Amicia weiß nicht, was sie getan hat, sie ist geschockt. Sie hat ihn getötet. Wie schon angemerkt, ist dieser Schock relativ schnell Routine und die Routine erinnert eher an Spiele wie 'The Last of Us'.
Das wäre in Ordnung, würde die Action nicht völlig künstlich ans Spiel angefügt wirken. Nach diesem Bosskampf verabschieden sich die schwereren Gegner in den 15 Stunden Spielzeit nämlich fast vollkommen. Erst in der letzten Stunde kehren sie wieder zurück. Dann tauchen innerhalb kurzer Zeit plötzlich zwei Kämpfe am Ende auf. Dazwischen ist das nicht der Fall. Nur ein paar Momente, die aus Western-Filmen kommen könnten, tauchen in dieser Phase auf. Wir verteidigen einen Ort gegen einfallenden Soldaten. Stealth? Fehlanzeige und nicht vorgesehen.
So bleibt der Eindruck, dass 'A Plague Tale’ eigentlich kürzer hätte sein sollen und die Narrative viel deutlicher im Fokus hätte stehen sollen. Die Geschichte ist zwar noch immer das Kernelement, aber die Steinschleuder ein stetiger Wegbegleiter. Die normalen Schleichpassagen wirken organisch und Kämpfe sind stets optional, sofern man nicht der Sammelwut erliegt: Lore-Gegenstände, die das Setting verdichten, Blumen, um Amicias Haar zu schmücken, sowie Crafting-Material für Upgrades sind überall versteckt. Die Bosskämpfe und manche Kampfszenen ganz nach „King of the Hill“-Prinzip (wer zuletzt steht, gewinnt) lockern das Pest-Abenteuer aber nicht wirklich auf, sondern wirken fehl am Platz.
Ästhetik, Sprachausgabe und Musik
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Die Künstler zaubern eindrucksvolle Bilder auf den Bildschirm - trotz beschränkten Budgets. |
Optisch ist das Stealth-Abenteuer schön anzusehen, obwohl bei genauer Betrachtung das geringere Budget sichtbar ist. Die Art-Abteilung hat aber eine reife Leistung geliefert: Eine mit Gewächsen überwucherte Kathedrale, malerische Landstriche oder riesige Schlachtfelder mit hunderten Toten sehen erschreckend, wunderschön und bedrückend bis grässlich aus – alles im positiven Sinn gemeint. Diese Bandbreite ist in 'A Plague Tale: Innocence' möglich und wechselt sich relativ schnell ab. So bleibt das Spiel stets erfrischend.
Die Sprecher sind auf Englisch auf hohem Niveau und wurden sogar von Sprechern im entsprechenden Alter eingesprochen. Auch die deutsche Sprachausgabe klingt professionell und gut. Im Englischen werden alle französisch stämmigen Personen mit französischem Akzent gesprochen. Im Deutschen sprechen sie normal Deutsch – es wirkt nur etwas geschwollen, weil es bewusst „mittelalterlich“ klingen soll. Je nach Geschmack werden die Akzente deswegen nicht jedem gefallen.
Die Musik ist ebenfalls hervorzuheben, denn orchestrale, bewusst eher mittelalterlich wirkende Töne begleiten die Geschichte. Auf diese Weise werden Gefühle und Stimmungslagen hervorragend untermalt und noch einmal betont. Durch die eher triste, dreckige Stimmung sind jedoch höhere Töne eher selten und basslastige Instrumente überwiegen. Hier zeigt Asobo Studio, dass sie die Atmosphäre wirklich gut eingefangen haben.
'A Plague Tale: Innocence' ist schwierig zu bewerten. Wer narrative Spiele mag, sollte hier eigentlich gut aufgehoben sein, wenn nicht die Action-Sequenzen wären. Diese sind zwar selten schwer, durch die automatischen Speicherpunkte muss man manche Sequenzen aber leider öfter wiederholen. Auch die Stealth-Mechanik hat keine große Tiefe, denn genre-typische Flächen mit hohem Gras oder hüfthohe Mauern und Hindernisse dominieren die Spielwelt. So bietet das Spiel zwar eine ordentliche Young-Adult-Geschichte, enttäuscht aber im Gameplay.
Dann wäre da noch die Krux mit der Geschichte. Das Grundthema ist interessant und die ersten Spielstunden wirken vielversprechend, obwohl sie kaum ein Klischee auslassen. Später wird es aber dann schon fast ein 'Star Wars'-Spiel mit Macht-Attacken und verliert auch in den eingesetzten Metaphern völlig die Bodenhaftung. So wird auch kaum ein aufgenommenes Geheimnis aufgelöst und das Spiel endet äußerst unbefriedigend. Schade, da wäre mehr drin gewesen.
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A Plague Tale: Innocence
- Entwickler
- Asobo Studio
- Publisher
- Focus Home Interactive
- Release
- 13. Mai 2019
- Auszeichnungen
- Storyteller des Jahres
- Spielzeit
- 15 Stunden
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.aplaguetale.com/
- Art
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Independent
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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10 Kommentare
Zusätzlich ist A Plague Tale eher AA, allein schon die Produktionsqualität zeigt nix anderes (man beobachte die Ratten einmal genau
Würden wir Grafik in Richtung Fotorealismus ins Zentrum stellen, müsste ohnehin seit einiger Zeit fast jedes Frostbite-Spiel 95-100er Wertungen bekommen
Das nebenbei. Vielmehr geht es aber darum, wie gut funktioniert die Story, wie gut funktioniert das Spiel. Die laufen leider in dem Fall völlig auseinander. Superhelden-Gameplay zur vermeintlich schwachen, jungen Adeligen passt halt einfach überhaupt nicht zusammen. Und leider echt viel mehr :/.
Gutes Stealth-Spiel gesucht? Prey, Dishonored 1+2. Die haben auch eine echt feine Story.
Gutes Mittelalter-Spiel gesucht? Da wirds schon rarer im Storyteller-Bereich (hinter meiner Kingdom Come Wertung steh ich auch nicht mehr so ganz). Da würde ich eher Crusader Kings 2 empfehlen
Was mich bei Spielen mit einem solchen Setting aber am meisten stört: Die Charaktere sprechen wie Menschen aus unserer Zeit miteinander. Das wirkt jedes Mal völlig unpassend und ruiniert die Immersion.
Und das mit der übertriebenen Action gerade gegen Ende hin würde mir wahrscheinlich auch nicht gefallen. Wie du schon schreibst: Ein junges Mädchen als Ein-Frau-Armee wirkt nicht gerade glaubwürdig.
Ja, tatsächlich versuchen sie einen gehobenen, adeligen Stil. Natürlich auch mit ein paar alten Wörtern. Sonst ist es einfach aktuelles Englisch mit französischem Akzent - oder halt einfach Deutsch
Was in SciFi beliebt ist, fremde Sprachen einfach zu verwenden, ist halt einfach in Mittelalter noch nicht angekommen. Im Gegenteil! Da hab ich letztens einmal ein Gespräch mit einer Designerin (glaube ich) gehört, die davon sprach, dass Mittelhochdeutsch einfach nicht ankommt - und natürlich schwer zu schreiben ist. Ohne teure Germanisten wird das nix.
Die metaphorische Symbolik wäre gut, wenn zu Beginn nicht so auf die Mittelalter-Inszenierung gesetzt worden wäre. Da ist die Diskrepanz meiner Meinung einfach etwas zu weit. Wem das egal ist, der hat Spaß.
Die Action im letzten Segment bleibt aber zu viel... von einem Steinschleudern und magischem Werk zum nächsten. Meh. Das ist zu viel in zu kurzer Zeit.
Im zweiten Teil können da recht nette Dinge passieren. Immerhin haben sie die fantastischen Elemente da von Anfang an etabliert.